Regionaltangente Ost erhitzt Gemüter in Bergen-Enkheim Der Stadtteil wehrt sich

Das Bürgerinteresse an den Ausführungen zur Machbarkeitsstudie der Regionaltangente Ost war riesig. Bild: sh

Bergen-Enkheim (sh) – Es war eine gute Idee, die Sitzung des Bergen-Enkheimer Ortsbeirats am vergangenen Dienstag von der Nikolauskapelle in den Saal der Stadthalle Bergen zu verlegen. Die Vorstellung der Machbarkeitsstudie zur „Regionaltangente Ost“ (RTO), Bestandteil eines S-Bahn-Rings um Frankfurt, der bessere und schnellere Anbindungen mit dem öffentlichen Nahverkehr in die Region ermöglichen soll, machte neugierig und hatte schon im Vorfeld zahlreiche Gemüter erhitzt. Ortsvorsteherin Alexandra Weizel war von dem großen Bürgerinteresse ebenso beeindruckt wie die Referenten. Mobilitätsdezernent Wolfgang Siefert (Grüne) und Thomas Busch, Leiter des Geschäftsbereichs Verkehrs- und Mobilitätsplanung beim RMV, stellten sich den Fragen und Kritikpunkten der Bewohner des kämpferischen Stadtteils, die durch die vorgestellte Trassenführung ihre Lebensqualität in Gefahr sehen.

Zu Beginn stellte Weizel heraus, dass es sich bei der in der Presse veröffentlichten zweigleisigen Trassenführung, die unter anderem ein etwa 20 Meter hohes Brückenbauwerk überm Riedbad, eine Station am Riedbad sowie einen Tunnel durch den Berger Rücken vorsieht, um eine erste Planung handele. „Da ist nichts beschlossen“, betonte sie. Dem pflichtete Siefert bei und stellte klar, dass selbst die Machbarkeitsstudie noch nicht abgeschlossen sei, man aber die Bürger schon zu diesem frühen Zeitpunkt in die Planung mit einbeziehen wolle. Allein diese Aussage wurde bereits mit sarkastischem Lachen quittiert, lautete doch einer der Vorwürfe des Ortsbeirats, dass das Gremium selbst von der Machbarkeitsstudie zuerst aus der Presse erfahren habe und nicht vorher vom Dezernat informiert worden sei. Die Machbarkeitsstudie zeige auf, was technisch möglich sei, um die weitere Planung darauf zu gründen, erklärte Siefert. Lesen Sie weiter auf Seite 2

Daher sei es auch zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich, jede Detailfrage zu klären, sagte Siefert. Der Schienenring um Frankfurt soll das S-Bahnnetz stärken – davon soll Bergen-Enkheim erheblich profitieren, hieß es von den Referenten. „Bergen-Enkheim ist nicht optimal an den ÖPNV angebunden“, sagte Busch.

Mit der Regionaltangente Ost würden die Bergen-Enkheimer im Viertelstundentakt nach Niederdorfelden und im Halbstundentakt nach Gronau, beziehungsweise zum Flughafen fahren können. Außerdem, führten Busch und Siefert weiter aus, sollen sich die Fahrzeiten durch die RTO erheblich verkürzen. Die Hoffnung, den Bergen-Enkheimern das Vorhaben damit schmackhaft zu machen, erstickte das ironisch auflachende Auditorium schon im Keim. „Beschwerden über zu lange Reisezeiten sind beim Ortsbeirat nie eingegangen“, interpretierte Weizel die Reaktion des Publikums.

Fragen, die sich die Referenten gefallen lassen mussten, gingen in die Richtung, ob auch der Natur- und Landschaftsschutz, der ohnehin leidende Wald sowie Neubaugebiete mit in die Planungen eingeflossen seien. Kampfbereit zeigte sich Sigrid Vetter vom Aussiedlerhof Am Gisisberg, die die Existenz ihres Milchviehbetriebs durch die geplante Trassenführung bedroht sieht und versprach, dass sie und die nachfolgende Generation, die den Hof weiterführen will, alle rechtlichen Schritte einleiten werden, um den Bau zu verhindern, sollte er das Aus für ihren landwirtschaftlichen Betrieb bedeuten.

Ebenso tauchte die Frage nach der Kleingartenanlage „Möllers Wäldchen“ auf und die Angst davor, dass die Anlage durch den Trassenbau „plattgemacht“ werden könnte. Alteingesessene sowie neu hinzugezogene Bewohner des Stadtteils machten deutlich, dass sie nicht wegen einer Anbindung an den ÖPNV nach Bergen-Enkheim gezogen seien – die nach Auffassung einiger Redner „ganz gut“ sei – sondern wegen der Idylle und Ruhe. Mit dieser könne es nach Inbetriebnahme der RTO im beschaulichen Bergen-Enkheim vorbei sein, merkte ein Bürger an, der selbst bei der Bahn arbeitet. „Eine Brücke mit einer S-Bahn drauf, ist das Lauteste, was es gibt. Eine Brücke am Hang, wo Eisen auf Eisen fährt – da wird ganz Bergen-Enkheim beschallt“, gab er unter großem Applaus des Publikums zu verstehen.

Siefert und Busch wiederholten nach nahezu jeder Wortmeldung, dass alle Gegebenheiten bei der einer Machbarkeitsstudie folgenden vertieften Planung berücksichtigt und geprüft würden und, dass die Trassenführung noch nicht konkret sei. „Wenn das Thema Lärm an der Strecke nicht gelöst werden kann, wird sie nicht gebaut, da gibt es in Deutschland strenge Vorschriften“, sagte Siefert.

Was viele Redner ebenfalls interessierte, war, warum nur diese eine Trassenvariante vorgestellt werde, und fragten, was denn mit den anderen Vorschlägen sei, die für die Studie zur Disposition gestanden haben müssen. Viele Bergen-Enkheimer regten an, doch lieber eine Verlängerung der U-Bahnlinie oder die Reaktivierung der ehemaligen Straßenbahnlinie in Betracht zu ziehen, um Bergen-Enkheim besser anzubinden.

Im Anschluss an das Publikum kamen die Ortsbeiratsmitglieder zu Wort, um sich zu der Machbarkeitsstudie zu äußern. Auch dort stieß die Idee nicht auf Gegenliebe – BFF, CDU und WBE sprachen sich dagegen aus. Sieferts Grüne Parteikollegin Vivian Zoé Grudde redete den Mobilitätsdezernenten zwar mit seinem Vornamen Wolfgang an, verschonte ihn aber ebenfalls nicht mit Kritik. Ein dreiseitiger Fragenkatalog zur RTO sei innerhalb ihrer Fraktion im Ortsbeirat zusammengekommen. Allein wenn sie höre, Eingriffe in die Natur zugunsten klimafreundlicher Verkehrsmittel könne man ausgleichen, tue ihr das in der Seele weh. Wertvolle Natur würde mit der vorgeschlagenen Trasse zugebaut werden, der Lärm von der Brücke am Hang wäre in ganz Bergen-Enkheim zu hören. Keiner, der bei Sinnen sei, könne dem zustimmen, fasste sie zusammen und äußerte einen Verdacht: „Wird hier bewusst etwas vorgeschlagen, dass keiner möchte, um dem Eingemeindungsvertrag genüge zu tun? Und dann zu sagen: Wir haben unsere Pflicht getan, aber ihr wolltet das ja nicht?“ Sie forderte Vergleiche mit anderen Trassenvarianten und Alternativen. Einzig Kim Nielsen von der SPD-Fraktion fand die in Aussicht gestellte verkürzte Fahrzeit von Bergen-Enkheim zur Konstablerwache in neun Minuten „einen Traum“. Die verbesserte Anbindung würde Bergen-Enkheim insbesondere für jüngere Menschen attraktiver machen. „Aber diese Lösung ist nicht, was uns vorschwebt“, lautete das Fazit des Ortsbeiratsmitglieds. Günter Kraus (WBE) ergänzte: „Lassen Sie den Plan fallen. Der Ortsbeirat gibt Ihnen dafür keine Stimme.“