Elenas Australien-Abenteuer: Da gilt es, Ängste zu überwinden und über sich selbst hinauszuwachsen Der Begriff des „Glücks im Ausland“ ist nur temporär

Catalina lebt die Freiheit: Mit weit ausgestreckten Armen auf einem Felsen spürt sie die frische Meeresluft gleich umso intensiver. Schwimmen ist hier aufgrund gefährlicher Wassertiere nur leider nicht möglich. Fotos: zew

Von Elena Wolf

Klein-Auheim – Türkise Strände, Regenwald neben wüstenartigen Landschaften, die giftigsten Schlangen- und Spinnenarten der Welt in freier Wildbahn und eine, die menschliche Bevölkerung um ein Vielfaches übersteigende, Anzahl an Kängurus: So facettenreich wie Australien ist kaum ein anderes Land der Welt und mit gut 21 Stunden Flugzeit ist es für uns wohl auch das entfernteste Reiseziel im Rahmen des Möglichen. Während es uns Deutsche früher in den Schwarzwald oder an die Mecklenburgische Seenplatte trieb, scheinen solche simplen Urlaubsziele wie aus den Köpfen der Bevölkerung verschwunden.

Bereits im Jugendalter soll es ganz hoch hinaus in die weite Welt, weshalb man kaum einen Jugendlichen mehr zu Gesicht bekommt, der nach Schulabschluss kein Auslandsjahr oder so genanntes „Gap year“ plant, geschweige denn in einem anderen Land als Australien oder Neuseeland. Wieso auch seine Zeit in Deutschland oder anderen nahe gelegenen Reisezielen verbringen, liegt es doch gerade so im Trend, einmal auf der anderen Seite der Welt vorbeizuschauen.

Doch woher kommt dieser allgemeine Umschwung? Geht es mit dem Reisewahn etwa letztlich nur noch darum, sich vor der Öffentlichkeit zu beweisen? Muss alles nur noch größer, entfernter und imposanter sein und ist dies letztlich nicht mehr als eine Nachahmung dessen, was Social-Media- Stars, auf deren Accounts es nur so von beeindruckenden Urlaubsfotos der außergewöhnlichsten Reiseziele wimmelt, im Internet vermitteln? Ohne Zweifel mögen bekannte Internetberühmtheiten, die viele Jugendliche gar als Vorbilder ansehen, eine große Rolle in der Entwicklung dieses voranschreitenden „Reisetrends“ spielen; doch neben den sozialen Netzwerken als Impuls gibt es noch unzählige weitere Gründe, die eine immer größer werdende Anzahl junger Leute dazu bewegen die vertraute Heimat zu verlassen, um an einem fremden Ort auf eigenen Füßen zu stehen.

Auch ich habe mich im Winter vergangenen Jahres an ein solches Abenteuer herangewagt und wenn ich daran zurückdenke, dass ich sogar Reisenden mit Flugangst begegnete, die trotz jeglichen Bedenken die fast schon unzumutbare Reiselänge nach Australien auf sich nahmen, wird mir eines wieder bewusst: Bei einem Auslandsjahr geht es vor allem darum, die eigenen Ängste zu überwinden und über sich selbst hinauszuwachsen. Ob Herausforderungen wie das Finden einer Wohnung, eines Nebenjobs oder das eigenständige Regeln der Finanzen - schlagartig wird man in eine Welt der Selbständigkeit mit neuen Pflichten und Normen katapultiert, die den Charakter in erstaunlicher Geschwindigkeit an enormer Reife und Erfahrung gewinnen lässt.

Die unterschiedlichen Sprachen, Orte, Menschen und Kulturen, die sich dem Reisenden offenbaren, werden zu den wohl unvergesslichsten Eindrücken des Lebens und tragen nicht nur der intellektuellen, sondern vielmehr auch der charakterlichen Fortbildung bei. Am beeindruckendsten war für mich jedoch die Tatsache, dass in Australien, einem Land, das heutzutage fast schon von den so genannten „Backpackern“ lebt, folglich die unterschiedlichsten Kulturen und Nationalitäten im Alltag zusammentreffen und friedlich miteinander umgehen.

Vor allem in den Großstädten ist es allgegenwärtig, wie die fremden Kulturen das Leben der Australier prägen: Sei es eine indische Restaurantkette, ein asiatischer Food-Markt mitten im Stadtzentrum oder gar ein deutsches Brauhaus, in welchem Asiaten, Brasilianer und italienische Gäste mit Begeisterung deutsche Schlagersongs einer australischen Band mitgrölen. Plötzlich ist es egal, welche Nationalität oder Sexualität ein Mensch hat, denn alle verbindet das gleiche: Der Begriff der Freiheit. Fernab von Allem an einem fremden Ort, oft ohne bestimmte Pläne und Ziele; viele sind sich zu Beginn nicht einmal über die Dauer des Aufenthalts im Klaren - werden es sechs Monate, ein oder doch zwei Jahre? Es scheint keine Vorurteile mehr zu geben, fast wie in einer klassenlosen Gesellschaft, in der jedes Individuum gleichberechtigt und geschätzt wird und dieselben Chancen besitzt, sich selbst zu verwirklichen. Doch ist das nur eine oberflächliche Sicht der Dinge? Erbaut man sich in seinem Wunschdenken eigentlich nur eine Fantasiewelt, welche so in Wahrheit gar nicht existiert?

Allein die Tatsache, dass häufig beispielsweise Osteuropäer durch ihre meist schlechteren Englischkenntnisse erheblichen Nachteilen bei der Jobsuche ausgeliefert sind und für einen teilweise lachhaft niedrigen Lohn mit harter Arbeit ihren Unterhalt bestreiten müssen, während andere nebenbei für üppiges Gehalt bequem in einem Café arbeiten können, widerspricht dem Wunschdenken der Chancengleichheit… Diese großen Differenzen werden auf den ersten Blick nicht sofort sichtbar, doch zeigen sie die negativen Seiten des enormen Tourismus Australiens auf: Die Ausbeutung.

Ein Land, das den riesigen Touristenansturm toleriert, muss auf Dauer auch davon profitieren; und das geschieht zum Nachteil der Touristen selbst… Ich frage mich ab und an, ob das Leben im Ausland nicht mehr als nur die Illusion einer perfekten Welt ist; man glaubt, alles sei dort besser, verklärt das echte Leben und die Wirklichkeit daheim und scheint so einen Weg in einen Zustand des absoluten Glücks zu finden, doch fällt man dafür umso tiefer, wenn einen die Realität zu Hause wieder einholt.

„Weil der Begriff des Glücks im Ausland nur temporär ist“, erinnere ich mich einen Bekannten, den ich auf meiner Reise traf, sagen. Doch was ist das Verwerfliche daran? Streben wir nicht alle nach ein bisschen temporärem Glück oder wäre es nicht eher angemessener zu versuchen dieses - wieder daheim angekommen- zu einem Dauerzustand zu machen?

Lesen Sie dazu auch die Berichte "Reisen und arbeiten" sowie "Auf so einer Reise"

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