Schüler des Friedrich-Ebert-Gymnasiums präsentieren selbstverfasste Texte am Wachhäuschen Mühlheimer Bürger gedenken der Opfer der Reichspogromnacht

Bernd Klotz vor dem Haus an der Trachstraße, wo der letzte Rabbiner von Mühlheim mit seiner Familie lebte. Foto: man

Mühlheim (man) – Am vergangenen Freitag jährte sich die deutsche Terrornacht zum 80. Mal, die bei den Nazis später unter „Reichskristallnacht“ firmierte. Am 9. November 1938 erlaubte das nationalsozialistische Regime dem Volk, beim Pogrom gegen die jüdische Minderheit die Sau rauslassen zu dürfen. 1400 Synagogen brannten, 400 Juden starben, 30000 landeten im KZ. Wie im letzten Jahr begann der Rundgang zum Gedenken vor dem Mühlheimer Buchladen. Wie in jedem Jahr trugen die Mühlheimer Gymnasiasten des Friedrich Ebert Gymnasiums (FEG) vor dem früheren Wachhäuschen selbst verfasste Texte vor. Geleitet wird der Zug ab dem Mühlheimer Buchladen von Wolfgang Stock, Jörg Neumeister-Jung und Bernd Klotz. Neumeister-Jung erzählt dort, wo 1972 die Synagoge an der Friedrichstraße Garagen weichen musste, wie sich die Parteigrößen am 9. November zur jährlichen Gedenkfeier des Hitler-Putschs in München trafen, als sie die Nachricht von den Schüssen eines gewissen Herschel Grynszpan auf den deutschen Botschaftssekretär Ernst Eduard vom Rath in Paris erfuhren. Pläne, einen antisemitischen Volkszorn vom Zaun zu brechen, hatte es wohl schon länger gegeben. Der gewaltsame Tod eines unbekannten Diplomaten durch einen 17-jährigen Juden eignete sich, das Signal zum Startschuss zu geben. Der Vortrag von Jörg Neumeister-Jung legt auch Zeugnis davon ab, dass sich Menschen oft nicht wie aus einem Guss verhalten. Der 1933 von den Nazis eingesetzte Bürgermeister Anton Winter hatte kein Interesse, seine Parteigenossen in Mühlheim von der Leine zu lassen. Dennoch zertrümmerten vier stramme Nazis mit der Axt die Inneneinrichtung der Synagoge und legten Feuer. Otto Wolf, angestellt bei der Stadt, gelang es, den Brand sofort zu löschen. An der Plünderung im Textilgeschäft Stern beteiligten sich dann ein paar Mühlheimer mehr. Volkszorn lohnt sich. Die Möglichkeit, ungestraft für lau etwas einzusacken, wirkt verführerisch. In der Trachstraße spricht Christa Maria Bolz von der anderen Seite des Bürgermeisters. Winter hatte in einer Versammlung wohl dazu aufgerufen, in jüdischen Geschäften nicht einzukaufen. Die Mutter von Bolz, geborene Klauer, wuchs neben der Familie des Rabbiners Leopold Isaak an der Trachstraße auf. Isaak gelang es, seine fünf Söhne und seine Frau Pogromnacht ins Ausland zu manövrieren. Isaak selbst soll noch von der Ladefläche des LKW, der ihn 1942 aus Mülheim transportierte, seinen Nachbarn Birnen zugeworfen haben. Bald darauf kam der der Mann in Treblinka um, wie ein Stolperstein vor seinem früheren Haus verrät. Es war sicher keine triumphale Rückkehr von Sohn Arnold Isaak, der nach seiner unfreiwilligen Emigration vom November 1938 im April 1945 in Uniform als US-Soldat wieder durch die Gassen von Mühlheim ging, von der wagen Hoffnung bestimmt, doch noch den Vater zu finden. Vielleicht fahndete Arnold auch nach den vier strammen Parteigenossen, vor denen er mit dem Vater die Thorarollen gerettet hatte.

Im Vortrag der Oberstufenschüler des FEG vor dem Wachhäuschen geht es um aktuellen Antisemitismus, dass etwa die gewaltaffinen Rapper, die unter „Kollegah“ und „Farid Bang“ firmieren, von einer ethisch erodierten Jury für Liedgut mit Textzeilen wie „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“ als Belohnung den Musikpreis Echo erhielten. Die Schüler erwähnen auch die Szene vom 17. April im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, als sich ein rassistischer 19-jähriger Syrer vom Geschädigten filmen lässt, während er ohne jeden Grund, wie in den Zeiten des SA-Terrors, mit seinem Gürtel auf den jungen Träger einer Kippa einschlägt.

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