SELTENE BERUFE Falk Kirchner ist Schäfer in Mainhausen 200 Lämmer in drei Monaten

Arbeiten mehr als 60 Stunden pro Woche für das Wohl ihrer 450 Schafe: Mainhausens Schäfer Falk Kirchner und seine Kollegin Michelle Debus. Bild: lisa löw

Mainhausen – Schäfer liegen den ganzen Tag faul in der Sonne, schlafen bei ihren Schafen und sprechen monatelang nicht mit Menschen –diesem Berufsklischee entspricht Mainhausens Schäfer Falk Kirchner so gar nicht. Sein Tag beginnt morgens um 6 Uhr. Dann fährt er aus seiner Wohnung in Seligenstadt zu seinen 450 Schafen und Lämmern: „Als Erstes schaue ich, ob es allen gut geht und sie die Nacht gut überstanden haben.“ Im Sommer grasen die Tiere auf den Wiesen und Sendefunkanlagen in Zellhausen. Dabei sind sie mehr als natürliche Rasenmäher: In der Wolle verstecken sich Pflanzenteile, Samen und Insekten. Wechseln die Schafe ihren Weideort, verbreiten sich diese und tragen so zur Artenvielfalt bei. Schafskot ist ein natürlicher Dünger, während Vögel abgeworfenes Fell als Nistmaterial verwenden.

Weil es viel geregnet hat und der Weideboden nährstoffreich ist, konnte Kirchner seine Schafe bereits im April auf die 120 Hektar große Wiesenfläche lassen. Während die Tiere gemütlich grasen, ihren Kopf zur Sonne strecken und mit einem zufriedenen „Mähh“ ihr Landleben genießen, kümmert sich der Seligenstädter um Schäden am Elektrozaun, Wasser, Salz und Mineralien für die Schafe und Unruhen in der Herde: „Mutter und Lamm erkennen sich an ihrer Stimme. Wenn sie sich nicht finden, wird es ganz schön laut.“

Kirchner betreibt eine Mischbeweidung. Zuerst fressen die Tiere das Grün zurück, wobei Gras nicht gleich Gras sei, sondern unterschiedlich schmecke. Danach lässt der Schäfer Ziegen auf das Weidestück, die Büsche und Brombeeren zur Nahrung nehmen und so verhindern, dass die Bäume das Gras überwuchern.

Außerdem kontrolliert Kirchner jeden Morgen den Gesundheitszustand jedes einzelnen der 450 Schafe, von denen 50 Lämmer sind. Kirchner beobachtet auch, ob die jüngsten einen robusten Körperbau und ein ruhiges Gemüt entwickeln. Denn er ist nicht nur Futterbeschaffer – im Sommer erntet er 600 Pfund Heu – Streitschlichter und Landschaftspfleger, sondern auch Schafzüchter.

Für den Fortbestand der Herde ist Nachwuchs, den die Mutterschafe ab ihrem zweiten Lebensjahr bekommen, besonders wichtig. Von Februar bis April sind die Schafe hierfür im Stall. Mehr als 200 Geburten hat Kirchner allein diesen Winter begleitet. Zusätzlich zu seinen täglichen Arbeitsstunden von 6 bis 19 Uhr stand er fast jede Nacht im Stall und leistete Geburtshilfe: „Sie heben ihren Schwanz hoch, gucken komisch aus der Wäsche, legen sich hin, stehen wieder auf.“ Meist habe das Lamm innerhalb von einer halben Stunde das Licht der Welt erblickt. Auch Zwillingsgeburten waren in diesem Jahr keine Seltenheit auf Kirchners Hof.

Dass ein Lamm nach sechs Wochen geschlachtet wird, sei ein Mythos: „Es gibt seit 50 Jahren kein Osterlamm mehr in Deutschland.“ Schafe werden etwa acht Jahre alt, Mastlämmer werden ein Jahr gezüchtet: „Dann sind sie aber schon so groß, dass man sie von einem ausgewachsenen Schaf kaum unterscheiden kann.“ Nach einer Nacht voller Unterstützung beim Drücken und Pressen heißt es trotzdem ab 6 Uhr: Schafe kontrollieren, Stall misten und tonnenweise Wasser tränken. Urlaubstage gibt es sehr wenige, 60-Stunden-Wochen sind der untere Durchschnitt, und auch der Verdienst reiche kaum, um die Haltungskosten zu decken. Kirchner ist selbstständig, arbeitet nahezu rund um die Uhr und bekommt für seine Tier- und Landschaftspflege oft zu hören, dass es nach Mist stinke, der Hahn zu laut krähe und er die Natur zerstöre: „Ich wünsche mir mehr Wertschätzung und Aufklärung darüber, wo die Lebensmittel herkommen. Die Kuh ist eben nicht lila.“ Warum Kirchner trotz Gegenwind seit fünf Jahren Schäfer ist? „Ich habe ein freies Leben mit viel Spaß und Abwechslung. Kein Tag ist wie der andere.“ Mit einigen Schafen ist er sogar per Du. Da gibt es die Elvis-Gang, die wie der Popstar Koteletten unter den Ohren hat. Paula, die er bei einem Paulaner Spezi mit seiner Kollegin Michelle Debus so getauft hat. Gretl, Hildegard, Spiderman, Stefan, Peter… die Liste ist lang, Kirchners Augen leuchten. Die Schafe hören auf ihren Namen, lassen sich von ihm berühren.

Als würden ihn die Schafe nicht schon genug auf Trab halten, kümmert er sich neben seinen zwei Hütehunden auch um Pferde, Hühner und Schweine auf dem Mainhäuser Hof und pflanzt Kartoffeln und Obstbäume an. Sein schönstes Geschenk? Gesunde, zufriedene Schafe. Wenn er abends im Sonnenuntergang auf der Wiese steht und sieht, was er geleistet hat: „Ich entspanne und denke: Alles ist gut.“

Von Lisa Mariella Löw