Flüchtlingskinder sind fit für den Schulstart Adventgemeinde Mühlheim spendiert Schultüten

Zum Schulanfang gehört die Schultüte wie der Kerbborsch zur Kerb: Lorita Sebastian organisierte, dass die Flüchtlingskinder nicht ohne kommen müssen. Foto: Mangold

Mühlheim (man) – An einem Tag wie diesem zeigt sich vor allem, wie sich das Land veränderte. In den 60er und 70er Jahren holte die Bundesrepublik hunderttausende Gastarbeiter ins Land. Was das Thema Integration betraf, herrschte allgemeines Laissez-faire. Sollten die Fremden doch zusehen, wie sie und ihre Familien zurecht kommen.

Heute ist das anders: Kurz vor dem Start ins neue Schuljahr übergab die Adventgemeinde Mühlheim in ihren Räumen im Zeppelinring wie im vergangenen Jahr Schultüten an Flüchtlingskinder. Gemeindemitglied Lorita Sebastian und Julia Sittinger von der Arbeiterwohlfahrt hatten die Aktion miteinander abgestimmt.

Schultüten zu verschenken, ist keineswegs nur ein symbolischer Akt der Adventsgemeinde. Zum Premierentag in der ersten Klasse ohne eine aufzutauchen, das sind die Außenseiter-Erlebnissen, die einem ein Leben lang haften bleiben können.

Lorita Sebastian erzählte vom Brauch in Deutschland, zur Einschulung mit der Tüte im Arm durchs Tor zu gehen. Der Syrer Hady Hassrouny (29), der aktiv in Mühlheims Freiwilliger Feuerwehr mitmacht, übersetzte ins Arabische, Ahmadullah Zarif (41) ins Dari. Neben vielen Afghanen verstehen das auch die Iraner.

Der Wirtschaftswissenschaftler Hassrouny floh im September 2014 nach Deutschland, der Jurist Zarif stieg mit Frau und vier Kindern vor 14 Monaten in Kabul in den Flieger Richtung Europa. In seiner Funktion als Richter in der im Osten des Landes gelegenen Provinz Lugar bedrohten Taliban und Mafia-Klans sein Leben. Der Mann lernte in der kurzen Zeit beachtlich gut Deutsch und erzählt stolz, dass seine 18-jährige Tochter auf der Käthe-Kollwitz-Schule in Offenbach auf dem Weg zum Abitur schon beste Zensuren schreibt.

Bis dahin dauert es für die acht Kinder noch ein paar Jahre, denen Lorita Sebastian die Schultüten überreicht. Anschließend gab es Kaffee und Kuchen. „Garantiert ohne Gelatine“, lässt Gemeindemitglied Hanna Wagner für die Eltern übersetzen, denn Gelatine wird aus Proteinen vom Schwein hergestellt. Die meisten Kinder stammen aus dem islamischen Kulturkreis.

Am Rande erzählt der frühere Gemeindepfarrer Gerhard Wagner, Ehemann von Hanna Wagner und Vater von Lorita Sebastian, von Glaubensgrundsätzen der Adventisten, die ihre Gottesdienste am Samstag feiern, dem biblischen Ruhetag.

Zumindest in einem Punkt ähnelt der Alltag der Adventisten dem gläubiger Muslime: Beide trinken keinen Alkohol. Die Adventisten jedoch zum Wohlbefinden, nicht etwa, weil es sich aus der Bibel herleiten ließe. Dort finden sich Zeugnisse von massiver Trunkenheit. Außerdem verwandelt Jesus Wasser in Wein. Dessen erwartete Wiederkehr steht im Zentrum des Glaubens. Für die Muslime ist Jesus zwar einer der wichtigsten Propheten, der auch im Koran als Sohn einer Jungfrau zur Welt kommt, göttliche Eigenschaften fehlen ihm aber.

Gemeindepfarrer Ljubo Jelic, der aus Kroatien stammt, sprach von der Notwendigkeit, die Sprache zu lernen und sich auf den anderen Lebensstil einzulassen, „dazu gehören auch die Schultüten.“ In seinen Worten können sich Christen, Muslime und Juden wiederfinden, „möge Gott mit seinen Engeln unsere Kinder beschützen“.

Lorita Sebastian wies auf einen möglichen Missgriff hin, den es unbedingt zu vermeiden galt: Die Kinder sollen die Schultüten erst zu Hause öffnen, wenn der erste Schultag bereits hinter ihnen liegt.