Ex-Musikschulleiter Roland Hallwirth stellt Essaysammlung vor Nie aufgehört zu lernen

Roland Hallwirth, Gründer der Musikschule Mühlheim, schreibt Essays über das Wesen der Musik. FOTO: MAN

Mühlheim – Ein Satz charakterisiert Roland Hallwirth präzise: „Es ist keine Schande, nicht zu wissen. Es ist eine Schande, nicht lernen zu wollen.“ Die Sentenz von Platon stellt der Gründer der Musikschule Mühlheim seiner 2021 erschienenen Essaysammlung mit dem Titel „Musik – Wesen und Bedeutung – Versuch einer Reflexion“ voran.

Der Dietesheimer kam 1936 in Schreckenstein zur Welt, einem Stadtteil von Außig, dem heutigen Ústí nad Labem.

Wer Hallwirth genau zuhört, bemerkt neben dem hessischen auch eine Nuance von sächsischem Einschlag. Durch Ústí nad Labem fließt die Elbe, Dresden liegt nicht weit. Hallwirth erinnert sich gut an die Nachkriegsstimmung, „als die nicht unbedingt am hellsten wirkenden Tschechen bei Deutschen vor dem Haus standen und erklärten, ,das gehört jetzt mir’“.

Ein Jahr später folgten die sogenannten Benes-Dekrete. Die Hallwirths mussten Böhmen 1946 von einem auf den anderen Tag verlassen. Über eine Zwischenstation an der Ostsee bei Rostock und bei Verwandten in Offenbach landete die Familie schließlich im November des Jahres in Mühlheim. Der Vater, ein gelernter Elektrotechniker, hatte bei der Firma A. Van Kaeck eine Stelle bekommen und im Ort eine Wohnung gefunden. Einen bruchlosen Schulbesuch erlebten damals nur wenige Kinder. In drei Gemeinden durchlief Hallwirth die dritte Klasse.

Zur Geige kam er als Elfjähriger. Für ein Streichinstrument ist das eigentlich zu spät. Doch der Junge klemmte sich sofort dahinter, nahm Unterricht beim Onkel und übte mehrere Stunden täglich. Hallwirth bestand schließlich das Probespiel für das neu gegründete Frankfurter Jugendsinfonieorchester und die Aufnahmeprüfung des Dr. Hoch’s Konservatoriums. Eindruck hinterließ bei dem jungen Musiker die Fahrt im Auto eines Geigers des Rundfunkorchesters zu einem gemeinsamen Konzert. Der Profi konstatierte, „wo die Musik zum Brot wird, hört die Freude auf“. Hallwirth fuhr nach der Mittleren Reife auf der Wilhelmschule in Offenbach zweigleisig, studierte in Frankfurt Violine und absolvierte eine Ausbildung zum Justizsekretär. In Proben und Konzerten des Radio-Sinfonie-Orchesters Frankfurt erlebte Hallwirth den legendären Dirigenten Dean Dixon, „ein Musiker, von dem du sehr viel lernen konntest“.

Mit dem Lernen hörte Hallwirth nie auf. Wenige 85-Jährige dürften die moderne EDV so beherrschen wie der Dietesheimer. In den 60er Jahren fing er mit dem Komponieren an. Entfernt erinnert seine Biografie an die des US-amerikanischen Komponisten Charles Ives, der sich seinen Lebensunterhalt als Versicherungsmakler verdiente. Hallwirth schloss bei der Stadt Frankfurt ein duales Studium zum Verwaltungsfachwirt mit dem Diplom ab. Später arbeitete er beim Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in Frankfurt, leitete in Dietzenbach das Standesamt. Niemand vermutet hinter den Funktionen den Schöpfer von drei Sinfonien, einer Oper oder einer Messe, um nur wenige Beispiele aus Hallwirths Œuvre zu nennen. Seine letzte Komposition, die in Mühlheim unter seinem Taktschlag erklang, war sein Violinkonzert.

„Ein Avantgardist wollte ich nie sein“, erklärt der Mann, der 1975 in Zusammenspiel mit dem damaligen Bürgermeister Werner Grasmück die Musikschule gründete, die er bis 2002 führte. Hallwirth initiierte und leitete außerdem die „Gesellschaft der Freunde der Kirchen- und klassischen Musik Mühlheim“.

VON STEFAN MANGOLD