Der Versuchung widerstanden

„Wetten dass?“ vorm Induktionskochfeld: Friederike und Oliver Nedelmann sind Ende Juni aus ihrem Wohnzimmertheater ausgezogen. Jetzt spielen sie in der Küche ihrer neuen Wohnung. Bild: löw

Herd und Spüle bilden die Kulisse, Zuschauer bekommen ihre Getränke im Stuhlumdrehen: Das Wohnzimmertheater Nedelmann müsste eigentlich Küchentheater heißen. Tut’s aber nicht.

Urberach – Die alte Spielstätte war mit geschätzten 70 Quadratmetern schon ein Minitheater. Doch jetzt treten Friederike (65) und Oliver Nedelmann (59) auf 21 Quadratmetern auf. Die Stellfläche der Möbel müssen sie noch abziehen. Sieben mal drei Meter groß – oder besser: klein – ist die Küche ihrer neuen Wohnung. Die Schauspieler haben ihr Wohnzimmertheater in der alten T & N-Villa Ende Juni aufgegeben und sind ein paar Schritte weiter in ein Geschäfts- und Wohnhaus hinterm Märktezentrum umgezogen. Der Abschied ist ihnen schwergefallen. Doch Corona hat Kraft und Publikum gekostet.

Jetzt, nach gut zweieinhalb Monaten, sind die Schauspieler „auch innerlich angekommen“, sagt Friederike Nedelmann. Oliver Nedelmann räumt sogar ein: „Das alte Theater wird mir zunehmend fremder.“ Gefremdelt hat er auch mit der Idee, im eigenen Zuhause wieder Theater zu spielen. Kann eine Küche mit maximal zwölf Plätzen ein Wohnzimmer ersetzen, in das bei etwas Zusammenrücken 60 Zuschauer passten? Und vor allem: Rechnet sich’s? Denn Profis leben nicht vom Applaus, der angeblich des Künstlers schönster Lohn ist.

Die Nedelmänner haben ein Konzept gebastelt, das sich theoretisch rechnen kann. Unter dem Titel „Kultur auf Rädern“ gehen sie mit zehn Stücken auf Tournee: in anderer Leute Wohnzimmer, zu Weihnachtsfeiern oder Firmenfesten, in Kneipen mit feinsinnigen Wirtsleuten... 300 Euro kostet so ein Gastspiel; das Publikum muss der Auftraggeber besorgen.

Kultur in der Küche ist die billigere Alternative. Friederike und Oliver Nedelmann spielen Schnipsel ihrer Klassiker wie „Parmesan und Autofahr’n“, „Born in the GDR“, „Wetten dass?“ oder „Faust eins (zu zweit)“. Eine halbe Stunde, vielleicht 35 Minuten – dann fällt der nicht vorhandene Vorhang. Und auch die Schauspieler quetschen sich an den Küchentisch.

Wer den Drehstuhl neben dem Kühlschrank bekommt, ist für die Getränkeversorgung verantwortlich. „Das Stündchen danach am Küchentisch gehört einfach dazu“, hat Oliver Nedelmann in knapp 20 Jahren Wohnzimmertheater festgestellt. In all dieser Zeit blieb die Küche nur nach fünf Vorstellungen leer. Aus Small Talk wurden schnell tiefgehende Gespräche über Gott und die Welt. Nach einer Viertelstunde hatten die Schauspieler das Gefühl, ihre Gäste kennen sich schon ewig. Doch sie saßen an diesem Abend erstmals zusammen.

Friederike Nedelmann ist Rentnerin. Ihre Devise: „Jetzt will ich spielen und muss nicht spielen!“ Ihr sechs Jahre jüngerer Mann ist nicht so entspannt. Er will sich ein Jahr Zeit geben und schauen, ob er als freier Künstler leben kann: „Ansonsten brauche ich einen Brotberuf.“

Der Versuchung, das Wohnzimmertheater einfach in Küchentheater umzubenennen, hat das Schauspielerpaar widerstanden. Das klang den Beiden doch zu abgedroschen. „Theater a la Carte“ heißen die Vorstellungen zwischen Spüle und Herd. Der könnte vielleicht sogar einmal Requisite werden. Friederike Nedelmann hat ein Stück im Kopf, bei dem sie kochen will. Welches? Das bleibt vorläufig ein Küchengeheimnis.

Von Michael Löw