Magistrat beugt sich der närrischen Übermacht

Online-Video vor dem Sturm. Bild: -

Jügesheim – Prinzenpaare sollten keine Höhenangst haben. Auf dem schmalen Balkon des Bürgermeister-Büros in der zweiten Rathaus-Etage trennt sie nur ein Geländer vor dem Abgrund. Mutprobe hin oder her: Mit strahlendem Lächeln werfen die Regenten unzählige Popcorntütchen hinab.

Trotz böllernder Konfettikanone wirkt der Rathaussturm nicht mehr so martialisch wie früher. Es gibt auch keine nennenswerte Verteidigung. Bürgermeister Max Breitenbach agiert mit entwaffnender Offenherzigkeit: „Wo denkt ihr hin, wer will eine Schlacht? Wir kennen doch die Übermacht.“ Eine Anmerkung zum überstandenen Cyberangriff darf nicht fehlen: „Nach zwölf Monaten kann man einmal seh’, was aus uns wird ohne PC.“

Ohne Smartphone jedenfalls geht es nicht: In den letzten Minuten vor der Ankunft der Prinzenpaare filmt Breitenbach schnell noch ein kurzes Online-Video. Sein Magistratskollege Michael Schüßler mischt sich im Schottenrock unters närrische Volk.

Das Vorgeplänkel auf der Bühne greift lokalpolitische Themen auf, die auch schon Stoff für Büttenreden geliefert haben – von der Schlaglochpiste der Weiskircher Straße bis zur Frage, warum Bauarbeiten im Strandbad ausgerechnet während der Badesaison stattfinden müssen. Beim Prinzenpaar aus Dudenhofen bekommt auch der Heimatort sein Fett weg: „Bald wird unser Schotti asphaltiert, an der Rodau entlang kann man bald in Scharen Inliner fahren.“ Ein Seitenhieb auf frühere Zeiten darf nicht fehlen: „Advent, Advent, die Scheune brennt. Ein Wohnhaus steht jetzt dort, die illegalen Zufahrten kommen fort.“

Erstmals sind fast alle großen Fastnachtsvereine auf der Bühne vertreten. Die Sitzungspräsidenten werfen sich verbal die Bälle zu, dass es eine helle Freude ist. „Schneller freuen, nichts bereuen“, ist die Devise in dieser ultrakurzen Fastnachtskampagne. Dazu gibt’s eine doppelte Packung Blasmusik: Neben dem SKG-Orchester „Prost“ ist auch der Spielmannszug des TV Obernau dabei, der am Dienstag traditionell den Fastnachtszug anführen wird. Die Stimmungslieder der Giesemer Trottwa-Lersche treffen im Narrenvolk auf begeisterte Mitsänger. Das Prinzenpaar ergänzt die Hymne „Hey Giesem“ um eine Dudenhofen-Strophe, und Prinz Claudio I. schmettert überzeugend den Paolo-Conte-Hit „Azzurro“.

Auf der Magistratsetage des Rathauses testen Till und Gugi den Sitzkomfort im Bürosessel des Bürgermeisters. Beide haben sich ja mit einem Fastnachtskollegen zum Spaß auf die Stelle des Ersten Stadtrats beworben. „Till“ Marvin Kühne fragt denn auch forsch: „Wo ist eigentlich unser Büro?“
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