Nähe hält Erinnerung wach

In der ehemaligen Synagoge betrachten Schüler einen Ortsplan von Weiskirchen, auf dem die Wohnungen der ehemaligen jüdischen Einwohner markiert sind. Foto: wolf

Weiskirchen – Als der Weiskircher Gastwirt Karl Meyer 1933 auf dem jüdischen Friedhof Heusenstamm beigesetzt wurde, hatte nur ein einziger Mann den Mut, seinem Sarg zu folgen. Seine Witwe Johanna wurde gezwungen, den „Darmstädter Hof“ zu verkaufen.

An die Familie Meyer und andere jüdische Familien der Rodgau-Gemeinden erinnerten Schüler der Claus-von-Stauffenberg-Schule am Dienstag in Weiskirchen. Der Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 war der Anlass. An den Stolpersteinen vor dem ehemaligen „Darmstädter Hof“ wurden Rosen niedergelegt, wie zuvor an den Gedenksteinen für die Familie Reinhardt in Dudenhofen.

Die Jugendlichen erinnerten auch an Maria Jäger und Rosa Reinhardt aus Jügesheim. Sie sprachen über die zunehmende Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten. Anhand eines Zugtransports aus Darmstadt ins Vernichtungslager Treblinka (1942) stellten sie dar, wie Deportation und Massenmord von den Behörden wie eine x-beliebige Verwaltungsaufgabe organisiert wurden: als „Wohnsitzverlegung“, wie es damals zynisch-verharmlosend hieß.

„Ich fand es erschreckend, anhand der Familien zu erfahren, wie schlimm es war“, sagte einer der Gymnasiasten anschließend in der ehemaligen Synagoge. „Man bekommt einen persönlichen Bezug, wenn man vor den Häusern steht“, ergänzte ein Mitschüler, dem neue antisemitische Tendenzen Sorgen bereiten: „Dass die jüdische Schule in Frankfurt von Polizisten bewacht werden muss, finde ich bedrückend.“ Einer anderen Schülerin liegt am Herzen, „dass es nicht in Vergessenheit gerät“.

Das ist auch ein Anliegen des Heimat- und Geschichtsvereins Weiskirchen, der sich seit Jahren der Erforschung der ehemaligen jüdischen Gemeinden widmet. Vor allem Helmut Trageser und Volker Böres haben sich diesem Thema verschrieben. Sie arbeiten an einem Buch, dessen Fertigstellung sich allerdings verzögert. „Wir bekommen ständig neues Material“, so Trageser. Dazu zählen unter anderem Briefe, Fotos, Dokumente und Passagierlisten von Auswandererschiffen.

VON EKKEHARD WOLF