RATHAUS-SPIELUHR Von Ulrich Burghardt ehrenamtlich repariert Stündlich Melodie vom Turm

Zu hören ist die Spieluhr, zu sehen nicht.

Seligenstadt – Mehrere Monate herrschte Stille am Marktplatz in Seligenstadt: Die Rathausspieluhr hatte vor einem Jahr ihren Dienst eingestellt. Nun ertönen wieder Melodien vom Turm. Allerdings gab es Startschwierigkeiten – für knapp 24 Stunden kehrte wieder Stille ein, die Spieluhr hatte ihren Dienst erneut eingestellt. Am nächsten Tag funktionierte sie wieder.

Hinter der Spieluhr lag eine Odyssee, seit sie nach sechs Jahrzehnten kaputt gegangen war (wir berichteten). Vielen Bürgern fiel die plötzliche Stille auf. „Wir kennen die suchenden Blicke, wenn Musik den Marktplatz beschallte“, so Bürgermeister Daniell Bastian. „Alle erwarteten, am Turm ein Glockenspiel zu entdecken.“ Dabei handelte es sich nur um eine kleine Apparatur im Innern.

Das Unikat hatte der Uhrmachermeister Albert Burghardt von Hand gefertigt. Seit 1960 lief es praktisch wartungsfrei. Nach Quittieren des Dienstes sollte es bei einer Firma in Belgien digitalisiert werden. Die Arbeiten waren im Gange, da meldete sich im vergangenen Dezember Uhrmacher Ulrich Burghardt, Sohn des 2012 gestorbenen Schöpfers. Er nahm sich der Reparatur ehrenamtlich an. Innerhalb zweier Monate zerlegte er das Uhrwerk, reinigte und überholte es und reparierte auch den defekten Schlaghammer.

Er war es auch, den die Stadt nach der Panne nochmals einbestellte. Der Uhrmacher konnte den Trafo wieder in Gang setzen. Zur Sicherheit ist indes ein neuer nachbestellt.

Die Digitalisierung, voriges Jahr in Auftrag gegeben, liegt auf Eis. Dann wäre das Unikat nur noch ein Schmuckstück mit Melodie-Informationen auf einem Stick, abgespielt per Computer.

So erfreuen sich Seligenstädter wie Besucher wieder an den Melodien – teils sind sie sogar auf der bayerischen Mainseite zu hören. „Ich bin sehr froh, dass wir die Uhr reaktivieren konnten, denn Ersatzteile sind nicht mehr zu bekommen“, sagt Bastian.

Der 76 Zentimeter breite, 46 Zentimeter hohe, 17 Zentimeter tiefe Glaskasten mit sechs Walzen hängt vor dem Büro des Stadtmarketings. Zwischen 8 und 21 Uhr ertönt stündlich eine Melodie, gefolgt von der Glocke oben im Turm, die akustisch die Uhrzeit erkennen lässt, um wieder an die Spieluhr abzugeben, deren goldene Hämmerchen dann den Westminsterschlag intonieren. In der Adventszeit erklingen Weihnachtslieder, sonst Schlager oder Operettenweisen.

Sechs stromgetriebene Walzen sind mit je zwei Liedern belegt. Wenn sich die Walze bewegt, bringen Stifte die Zähne eines Miniaturkamms in Schwingung und erzeugen damit Melodien. Über jedem Kamm angeordnete Mikrofone nehmen die Töne auf, die über einen Verstärker zu Lautsprechern im Turm geleitet werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Westminsterschlag.
mt