Marianne Braun spielt seit 50 Jahren die Orgel in der Offenthaler Kirche Aus dem Bauch und aus dem Herzen

Die „alte Lady“, wie die Offenthaler Orgel auch liebevoll genannt wird, hat ihre Eigenheiten, aber Marianne Braun hat sich natürlich längst daran gewöhnt. Bild: Jost

Dreieich – Die Finger von Marianne Braun gleiten geübt über das Manual der Orgel. Schon beim Zuschauen wird deutlich: So ganz leicht lassen sich die Tasten des 200 Jahre alten Instruments nicht drücken. „Es sind rund 350 Gramm pro Finger, die bewegt werden wollen. Wenn ich eine Stunde geübt habe, sind meine Finger rot und sichtbar gut durchblutet“, erzählt die Organistin der evangelischen Kirchengemeinde Offenthal schmunzelnd.

Ein solcher Kraftaufwand ist nicht unbedingt üblich. Es ist eine Eigenart der Orgel, an die sich Braun längst gewöhnt hat. Seit fünf Jahrzehnten sitzt sie regelmäßig auf der Empore der Kirche, spielt die Musik zu den Gottesdiensten, bei Taufen und an Weihnachten. Schon früh lernt sie das Klavierspiel. Geboren in Polen, kommt sie mit ihren Eltern im Alter von drei Jahren nach Offenthal. Glaube und Kirche spielen zu Haue eine wichtige Rolle. Sie engagiert sich als junges Mädchen im Kindergottesdienst, spielt dort Klavier und die Frau von Pfarrer Vetter fragt, ob sie nicht auch Orgel spielen wolle. In den folgenden Jahren lernt sie das Instrument, legt die Prüfung ab und mit gerade einmal 16 Jahren wird sie von der Kirche als Organistin angestellt. „Mein Vater musste den Vertrag unterschreiben, ich war ja noch nicht volljährig“, erinnert sie sich.

Marianne Braun ist gelernte Arzthelferin. Mit der Geburt ihrer drei Kinder konzentriert sie sich auf die Familie und ihre Aufgabe als Offenthaler Organistin. Ihre Lieben wissen: An Sonn- und Feiertagen ist Mama nicht da. Sie sorgt für die passende Musik im Gottesdienst. „Wir fahren auch erst sonntagmittags in den Urlaub, nachdem ich den Gottesdienst gespielt habe“, berichtet sie. Heute sind es die Enkelkinder, die ihr aus dem Altarraum zuhören. Zu ihrem Instrument hat Braun nach diesen vielen Jahren natürlich eine besonders innige Beziehung: Die Offenthaler Orgel oder „die alte Lady“, wie sie liebevoll genannt wird, hat nicht nur ein bisschen schwergängige Tasten, auch die elf Register rumpeln schon mal deutlich hörbar, wenn sie sie im Spiel geschickt rein und wieder heraus schiebt.

„Gut, sie ist 200 Jahre alt, da darf man schon mal knarzig sein“, ist sie nachsichtig. Als die Kirche vor wenigen Jahren saniert wird, bekommt die Orgel ebenfalls eine Überarbeitung. „Seit dem ist sie gnädiger. Früher hat sie mich oft zur Verzweiflung gebracht“, sagt Braun. Auch wenn sie manchmal von zwei oder drei Manualen träumt, will sie keinesfalls tauschen. „Ich mag das Instrument sehr gern und ich vergesse die Zeit, wenn ich hier oben sitze und übe.“ Sie zieht die Orgel dem E-Piano, das auch auf der Empore steht, fast immer vor. Bei manchen sehr modernen Stücken hat das elektrische Klavier dann aber doch Vorteile.

Bei der Auswahl der Musik hat Marianne Braun von Pfarrer Marcus Losch freie Hand. Sie sagt, sie entscheide aus dem Bauch und aus dem Herzen, was sie spielen wird. „Ich freue mich sehr, wenn Pfarrer Losch nach dem Gottesdienst sagt, wie gut alles zusammengepasst hat.“ Neben all den Eigenheiten der Orgel hat auch die langjährige Organistin ein festes Ritual: Sie bedient die Pedale ihres Instruments mit Strümpfen. „Ich habe damit einfach ein besseres Gefühl. Der Pfarrer hat schon mal gestaunt, wenn ich an Weihnachten mit dicken Wollsocken hier sitze. Zum großen Orgeljubiläum im vergangenen Jahr hatte ich extra besonders schöne Füßlinge mit Spitze ausgesucht“, erzählt Braun lachend.
 njo