Daniel Cohn-Bendit diskutiert mit Schülern und Gästen des Adolf-Reichwein-Gymnasiums Jedem Staat Anreize geben, Flüchtlinge aufzunehmen

Ein Höhepunkt der einwöchigen Veranstaltung war die Podiumsdiskussion mit Daniel Cohn-Bendit. Foto: Wittekopf

Heusenstamm (bw) – Das Heusenstammer Adolf-Reichwein-Gymnasium (ARG) nimmt an dem „Erasmus+“ Projekt „Reporter ohne Grenzen“ teil. Das von der Europäischen Union geförderte Projekt soll den interkulturellen Austausch fördern und damit den Zusammenhalt in der europäischen Union stärken.

Im Rahmen dieses Projektes was das ARG vom 23. November bis 2. Dezember Gastgeber für Schülerinnen und Schüler aus Paris (Frankreich), Córdoba (Island), Kefalonia (Griechenland) und Reykjavík (Island). Ein Höhepunkt der einwöchigen Veranstaltung war die Podiumsdiskussion mit Daniel Cohn-Bendit. Der Publizist und Politiker von Bundnis 90/Die Grünen ist Experte für Europapolitik und war von 1994 - 2014 Mitglied im Europäischen Parlament. „Wir haben ihn einfach angeschrieben, ob er nicht an einer Diskussionsrunde teilnehmen möchte“, sagt Thomas Schmidt, Lehrer am ARG. „Und er hat sofort zugesagt, dass hat uns natürlich sehr gefreut.“ Stilecht ist der Frankfurt wohnende Cohn-Bendit mit der umweltfreundlichen S-Bahn zum Termin angereist.

Die Diskussion, die in der Aula im C-Bau stattfand war von dem Erasmus-Team sehr gut vorbereitet. Um den Rahmen nicht zu sprengen waren allerdings nur wenige Zuschauer geladen worden. „Wir haben die Oberstufenschüler und die Schüler der Gastschulen eingeladen“, sagte Kai Petersen, Lehrer für Geschichte und Politikwissenschaften. „Für mehr Zuschauer hat der Platz in der Aula leider nicht gereicht.“

Um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, hatte das Erasmus-Team im Vorfeld Fragen zu den Themen „Flüchtlinge“, „Das Wesen des Geldes und Umverteilung“, „Lebensqualität“ und „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“ gesammelt.

Moderiert wurde der Abend von den beiden ARG Schülerinnen Vivian Saravanuamuttu und Maurizia Cirigliano. Die Diskussion fand wegen der vielen nicht deutschsprachigen Zuschauer in Englisch statt, wobei die Moderatorinnen durch ihr ausgezeichnetes Englisch den Abend sehr souverän leiteten.

Das Flüchtlingsthema ist natürlich immer noch aktuell und durch die bevorstehende Europawahl stellte sich die Frage, ob und welchen Einfluss die Flüchtlingswelle auf die Europäische Union (EU) hat.

„Natürlich hat es einen Einfluss auf die EU“, antwortete Cohn-Bendit. Doch Europa müsse sich erst einmal darüber einig werden, wie sie mit den Flüchtlingen umgehen soll. „Man muss auch zwischen Flüchtlingen und Migranten unterscheiden“, fügte er hinzu. „Es ist für jede Gesellschaft schwierig, Flüchtlinge zu akzeptieren.“ Nach der Genfer Konvention sei man zunächst verpflichtet, die hilfesuchenden Menschen aufzunehmen. Das betreffe zuerst die Menschen, die aus den Kriegsgebieten kommen. Cohn-Bendit erinnerte an die große Flüchtlingswelle während des Kosovo-Krieges. Die Regierung Kohl habe damals die Menschen aufgenommen, ihnen Schutz geboten und ein Bleiberecht bis zum Ende des Krieges eingeräumt. Das sei eine der vielen Möglichkeiten, die die EU habe um die Flüchtlingswelle zu verkraften. Auch die Verteilung auf die einzelnen Mitgliedsstaaten sei relativ einfach zu lösen. „Wir müssen einen europäischen Fond schaffen aus dem die Mitgliedsstaaten bezahlt werden“, erklärte er. „So hätte jeder Staat einen Anreiz Flüchtlinge aufzunehmen.

Natürlich stellt sich hier sofort die Frage, woher man das Geld nehme? Europa muss sich entscheiden, welche Probleme man zusammen oder alleine lösen möchte. Wenn ich die Flüchtlingskrise zusammen lösen möchte, dann muss das Geld aus dem europäischen Budget kommen. Derzeit zahlt jedes Land ein Prozent seines Bruttoinlandsprodukts. Das sei zu wenig. „Wir müssen über eine Erhöhung auf zwei bis drei Prozent nachdenken“, riet Cohn-Bendit.

Menschen sollen Leben mit Arbeit gestalten können

Das Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“ sieht er gespalten. „Ich bin kein Freund davon, denn ich möchte, dass die Menschen mit ihrer Arbeit ihr Leben gestalten können“, sagte Cohn-Benit. „Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte Menschen in niedrigen Lohnklassen halten und das ist nicht wünschenswert, deshalb möchte ich Menschen fordern und motivieren.“ Aber er kritisierte auch das Hartz 4 System in Deutschland, denn er sehe, dass die Menschen durch das System erniedrigt würden. „Ständige Kontrolle hilft keinem aus der Arbeitslosigkeit“, sagtee er. „Wir müssen den Menschen helfen, dass sie selbst erkennen, wie sie ihre Projekte und Vorstellungen verwirklichen können und so wieder in Arbeit kommen.“

Ein Zuschauer stellte die Frage nach der Digitalisierung und der Aussicht, dass 50 Prozent der Arbeitsplätze entfallen. „Ich sehe das nicht“, antwortete Cohn-Bendit. „Wir werden sicher Arbeitsplätze verlieren, aber dann sollten wir uns über die Verteilung der Arbeit unterhalten, so dürfen wir darüber nachdenken, ob die Menschen nur noch 30 Stunden in der Woche arbeiten.“

Bei den Themen „Lebensqualität“ und „Umweltschutz“ wurde die Frage nach dem benachbarten Frankfurter Flughafen gestellt. „Das Problem ist nicht der Flughafen, sondern die vielen Menschen, die günstig fliegen wollen“, sagte er. „Wenn die Gesellschaft das möchte, dann muss sie mit Lärm- und Umweltbelastung leben, die ein Flughafen eben so mit sich bringt.“ Jeder muss bei sich anfangen und sein Verhalten erfragen, so sein Rat. „Wir können das Kerosin besteuern, aber dann können sich nicht mehr alle den Urlaub nach Mallorca leisten“, sagte er.

Auch das Thema steigender Verkehr wurde angesprochen. Hier vertritt Cohn-Bendit eine klare Haltung: „Die Mieten in den Städten steigen immer weiter, so dass die Menschen gezwungen sind, in das Umland zu ziehen.“ Um in die Stadt zu kommen, brauchten viele ihr Auto. „Jahrelang erklären wir ihnen, dass sie sich einen Diesel kaufen sollen, da der weniger verbraucht und damit umweltfreundlicher ist und jetzt sagen wir, schmeißt das Auto sofort weg.“ Das sei der falsche Weg, denn solche einschneidenden Entwicklungen benötigten Zeit: „Man muss die Menschen immer mitnehmen.“

Am Ende gab er den jungen Zuschauern noch seine Lebensweisheit mit: „Ich möchte in einem Land leben, in dem Menschen frei leben können, unabhängig von ihrer sexuellen Ausrichtung.“ Menschen müssen sich frei entwickeln und eine Chance haben, ihre Ideen zu verwirklichen. „Das ist meine Vorstellung von einer fairen Gesellschaft.“

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