Altstadtführung mit Hans-Peter Schwenger Besuch beim „Hotel Bück-dich“

16 Teilnehmer folgten Hans-Peter Schwenger durch die Mühlheimer Altstadt. Foto: m

Mühlheim (m) – „Eigentlich hätte es Mühlheim an der Rodau heißen müssen.“ Hans-Peter Schwenger, offizieller Stadtführer, erläuterte den 16 Teilnehmern am jüngsten Gang durch die Altstadt, das ganze Dorf beschränkte sich noch im 19. Jahrhundert auf das Gelände zwischen der Rodau und dem Haingraben an der heutigen Goetheschule. Der Main war noch ein ganzes Stück entfernt. 1470 Menschen verteilten sich anno 1860 auf 169 Häuser, darunter acht Mühlen. Das heutige Stadtmuseum war das erste größere Gebäude, die Familie Kaiser bot darin ab 1786 vor allem den Kaufleuten auf den Geleitzügen auf dem Weg zur Frankfurter Messe ein Gasthaus mit der Möglichkeit zur Übernachtung an. „Alle Wege führten über Steinheim und Lämmerspiel. Im Wald stand eine Stele, die in Richtung Mühlheim zeigte“, erzählte der Stadtführer. Kaisers Sohn Leopold war von 1835 bis ‘45 Bischof von Mainz. Er verkaufte das Anwesen, um mit dem Geld seinen schwerkranken Bruder und anderen Menschen eine gute Betreuung zu gewähren. „Er war sehr sozial eingestellt“, zitierte der Stadtführer aus der Chronik. 1825 wurde das Haus als Schule genutzt, 1894 bis 1985 als Rathaus, dann bezog der Geschichtsverein die unteren Stockwerke, installierte eine Dauerausstellung und veranstaltet regelmäßig Schauen. Heute zählt die Stadt 28.000 Einwohner, aber nur noch eine Mühle, verglich Schwenger. Bis ins vergangene Jahrhundert war die Marktstraße die Hauptschlagader des Orts. Fast in jedem Haus war ein Geschäft untergebracht, der Leiter nannte Lebensmittel-Faller, die Bäckerei Krebs mit dem Gemeinde-Backhaus, der Gaststätte Englischer Hof, Metzgereien und Keltereien. Bei der Familie Hildebrand soll gar Napoleon auf der Rückreise von einer seiner Feldzüge genächtigt haben, was allerdings nicht belegt sei. Attraktion in der Marktstraße war die Eisdiele Deladotti. Das Gebäude, das heute die Familie Eisner bewohnt, war das „Hotel Bück-dich“, weil die Gäste beim Eintritt ihren Kopf beugen mussten, um ihn nicht am Türrahmen zu schlagen. Bald öffneten Latscha und Schade Filialen in der Altstadt, es gab ein Textilgeschäft, Schuster, Metzgereien, Drogerie, Frisöre, Baustoffhandel und einen Zigarrenladen. Und eben das Wachthäuschen, das ab 1861 Nachtwächtern und Kuhhirten als Unterstand diente. Der Baustil ähnele dem der Frankfurter Hauptwache, kapellenartig mit drei Säulen vorne. Kinder warteten stets geduldig vor dem Häuschen, wenn sich Kaiser Wilhelm II. angekündigt hatte. Er reiste mit dem Zug bis zum Mühlheimer Bahnhof, um seine Mutter in Rumpenheim zu besuchen. Als er mit der Kutsche vorüberfuhr, heißt es, winkten ihm die kleinen Mühlenstädter und wurden vom Kaiser mit Milchweck beschenkt. Schwenger gewährte der Gruppe Einblick in den Trakt mit den beiden Zellen, in denen in der Pogromnacht Mühlheimer Juden inhaftiert waren. Sie und andere Gefangene hinterließen Botschaften in Sütterlin-Schrift. Der Turm der St. Markuskirche gegenüber diente auch zur Beobachtung. „Am Main trieben sich immer wieder Banden herum“, erfuhren die Zuhörer. Der Wetterhahn dreht sich in exakt 51,5 Metern Höhe und diente lange als Fluchtpunkt für Vermessungen.

Das Gotteshaus gehört zu den ältesten in der Region, war selbst für die Christen in Heusenstamm und Hausen Anlaufstelle. Der kundige Mühlenstädter erzählte vom Gräberfeld auf dem Kirchhof, auf den noch die alte Mauer hinweist, und zeigte die Pestpforte an der Rodaubrücke. Durch sie wurden die verstorbenen Kranken aus Dietesheim gebracht. Wie damals dient das Ufer der Rodau, die früher direkt hinter der Kirche und an den Häusern vorbeifloss, wieder als Treffpunkt. Damals bleichten die Frauen auf den Felssteinen die Wäsche, woher die nahe Straße ihren Namen hat. Sie nutzten die Zeit des Trocknens zum Tratsch - während die Gänse über die Leinen watschelten.