„The Lickin Boyz“ rockten die Willy-Brandt-Halle Musik für den guten Zweck

Von selbst kommt wohl niemand auf die Idee, dass The Lickin´ Boyz die Woche über im weißen Kittel durch ihre Arztpraxen laufen. Foto: man

Mühlheim (man) – Klassischen Rock der 60er und 70er Jahre spielt die Band aus Ärzten, die sich „The Lickin´ Boyz“ nennt. Ein Großteil der über 250 Zuhörer am vergangenen Samstag in der Willy-Brandt-Halle erinnerte sich bei manchem Lied gut an Momente der eigenen Jugend. Über den Erlös des Abends freuten sich zwei Mühlheimer Vereine.

An der Kasse sitzt auch Christian Dreiling, der Vorsitzende des Budo-Club Mühlheim. Dem 38-jährigen lässt sich ansehen, dass er seit 28 Jahren Judo treibt.

Dreiling erzählt von den Verbindungen von Martin Deiß. Der Geschäftsführer der Willy-Brandt-Halle steht mit den Männern von „The Lickin´ Boyz“ schon seit deren ersten Auftritt an gleicher Stelle vor neun Jahren in Kontakt. Vor Publikum spielt die Gruppe nur, um Spenden zu generieren. Deiß fragte beim Budo-Club an, ob man Interesse habe, sich die Einnahmen eines Konzerts mit „MainSterne“ zu teilen.

Der Verein kümmert sich um die Belange von Menschen, die an Multiple Sklerose (MS) erkrankt sind. Der Budo-Club ist in der ganzen Republik für seinen Fokus auf Behindertensport bekannt. So arbeiten die Jodokas und die „MainSterne“ heute zusammen. Für die verantworten im Keller Nicole Seßelmann, Anette Leissner und Reinhold Simon die Garderobe, Freunde und Angehörige von Mitgliedern des Selbsthilfevereins.

Auf der Bühne spielt „The Lickin´ Boyz“, vor allem Rock-Repertoire aus den 60er und 70er Jahren, wie etwa „Jumpin’ Jack Flash“. Als die Rolling Stones den Titel das erste Mal sangen, konnten Jugendliche mit der Musik noch Eltern und Lehrer ärgern. Regina Stadtler, die Vorsitzende der MainSterne, freut sich, dass die Ärzte auch „Radar Love“ von „Golden Earring“ spielen. Ein Hauch von „Licht aus! Spot an!“ aus Ilja Richters ZDF-Disko-Zeiten weht durchs Bürgerhaus. Die 1961 gegründete niederländische Formation gibt es immer noch, mit zwei Musikern aus den Gründertagen, als der Bundeskanzler noch Adenauer hieß.

Stadtler erinnert sich, wie sie „Radar Love“ als 14-Jährige in der Sonntagsdisco in den Räumen des Rudervereins hörte: „Damals klag alles neu und aufregend.“

Über die Saiten seiner Gitarre streicht ein Mann, den so mancher aktenkundige Gewalttäter kennt. Der Psychiater Udo Wortelboer tritt regelmäßig in Strafprozessen als Gutachter auf. Der Internist Hans-Jürgen W. Lange, der Sänger der Band, erinnert an die ersten Proben der „The Lickin´ Boyz“. Man intonierte „Sympathy for the Devil“ von den Stones oder „Locomotive Breath“ von Jethro Tull nach Feierabend in seiner Praxis im Neu-Isenburger Ärztehaus.

Verwegene Gitarrenriffs störten um die Uhrzeit keine Nachbarn mehr. Den Jethro Tull-Hit spielten die Mediziner auch am Samstag. Den Solopart an der Querflöte übernahm Hendrik Bretschneider.

Ärzteorchester haben eine lange Tradition.

Der Ursprung der Ärzte-Rockband liegt in einem Mediziner-Kongress 2006 in Portugal.

Bei Getränken, die ein Arzt seinen Patienten eher nicht nur Genesung empfiehlt, entwickelte sich die Idee. Dem Pharmareferenten Helmut Golke kam schnell in den Sinn, das Projekt vom Kopf auf die Füße zu stellen. Der Mann organisierte bereits den ersten Auftritt. Als Forum diente eine Geburtstagsfeier in ländlichen Gefilden vor 130 Gästen. Später gründete Golke, der eine Leukämieerkrankung überwand, „The Grooving Doctors – Ärztlicher Musikverein Südhessen“. Der Club sammelte im Lauf der Jahre durch die Auftritte der Band über 100.000 Euro, etwa für krebskranke Kinder Frankfurt oder das Kinderhospiz Bärenherz. Heute stehen die Mediziner vier bis fünfmal im Jahr auf der Bühne, wie im kommenden März im Offenbacher Capitol.

Regina Stadtler lobt am Rande die Unterstützung durch die Stadt für ihre MainSterne, „Daniel Tybussek hat immer ein offenes Ohr für uns“.

Der Bürgermeister hatte für den Abend die Schirmherrschaft übernommen.

Die 58-Jährige weiß seit ihrem 30. Lebensjahr, an MS erkrankt zu sein. Stadtler erzählt von einem Mann, der sich vorgenommen hatte, ab einem bestimmten Grad der Lähmung sein Leben zu beenden, solange er das noch selbst kann.

Als es soweit war, vergiftete er sich. Ohne das Verbot der Sterbehilfe hätte er sich vielleicht noch Zeit gelassen.

Trotz ihrer Krankheit resümiert Regina Stadtler: „Das Leben ist schön, ein Abend wie heute wunderbar.“