Marko Martin erzählt im Laufe der Lesung, weder bei den Jungen Pionieren, noch in der FDJ gewesen zu sein. In Folge seiner Wehrdienstverweigerung habe er der DDR im Mai 1989 den Rücken kehren können, als 19-Jähriger, ein halbes Jahr vor dem Mauerfall. Der gebürtige Sachse verließ ein Land. Im Umgang mit den Punks sei die Direktive der Staatssicherheit gewesen, „macht kaputt, was euch kaputt macht.“ Darauf hätte sich die Truppe von Minister Erich Mielke trefflich verstanden. An der Hochschule in Potsdam seien Diplom- und Doktorarbeiten entstanden, die Titel trugen wie „Erfahrungen bei der Realisierung von Maßnahmen der Zersetzung zur wirksamen Bekämpfung von Untergrundtätigkeit unter Einbeziehung von IM sowie staatlicher und gesellschaftlicher Kräfte.“
Der Schriftsteller liest über den Anfang der Neunziger. Die letzte DDR-Volkskammer hatte noch ein Gesetz zur Publikation von Stasi-Akten verabschiedet. Wer will, kann bis heute seine Akte lesen, falls vorhanden. So erfuhr mancher, was engste Freunde, Ehepartner und Verwandte in ihrer IM-Eigenschaft alles ausgeplaudert hatten. Vielen habe das Gesetz nicht geschmeckt: „Hetzjagd, McCarthy-Hysterie, Gesinnungsprüfung“, seien nur einige der Wendungen gewesen, die damals kursierten, um das Auftauchen der Vergangenheit zu diskreditieren, „nicht selten von jenen vorgebracht, die schon aus Eigeninteresse und eigener Stasi-Mitarbeit auf eine Zukunft ohne Erinnerung spekulierten.“
Der Autor nennt ein Beispiel, wie fragil die Machthaber im real existierenden Sozialismus das eigene System empfunden haben müssen, sonst hätte die Staatssicherheit ein paar Vertreter der westlichen Popularkultur nicht als Bedrohung empfunden. „Tusch auf Bowie“ nennt sich ein Kapitel, aus dem Martin liest. Die Rede ist vom „Pfingstwunder von Ostberlin“. David Bowie sang zum Pfingstfestival auf dem Feld vor dem Reichstag in der Nähe zu Brandenburger Tor und Mauer.
Die Veranstalter hatten auf Wunsch von Bowie und der Gruppe Genesis eine doppelte Formation an Lautsprechern platziert. Eine schallte nach Osten. Unter den Linden hätten sich „zuerst nur ein paar Dutzend, dann schon Hunderte, schließlich sogar Tausende“ versammelt. Das Konzert flankierten auf der Seite der DDR Volkspolizisten und Staatssicherheitsmänner, die die Seitenstraßen absperrten und „die ersten Jugendlichen aus der Menge herausziehen, zusammenschlagen und abführen.“ Martin schildert ein absurdes Szenarium. Die sozialistische Staatsmacht knüppelt auf jene ein, die das heiligste Lied der Arbeiterbewegung intonieren: „,Die Internationale erkämpft das Menschenrecht‘ klingt trotzig über der Straße Unter den Linden.“
Einer der Zuhörer fragt Martin nach Unterschieden zwischen Ost und West, was die Reaktionen des Publikums in seinen Lesungen betrifft. Der 53-Jährige nennt eine Gemeinsamkeit: Kritisiere er die DDR-Schriftstellerin Christa Wolf, die erklärt hatte, im interessanteren deutschen Staat zu leben, echauffierten sich deren Fans auf beiden Seiten ähnlich.
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