HGV-Kalender 2024: Bilddokumente aus den Siebzigerjahren Moderner, aber nicht immer schön

Das Januar-Bild zeigt die alte Synagoge in der Bahnhofstraße in Urberach. Sie wurde 1881 geweiht und später in ein Wohnhaus umgewandelt. Seit einigen Jahren erinnert eine Gedenktafel an die religiöse Nutzung. Bild: Archiv HGV

Rödermark – Der Kalender des Heimat- und Geschichtsvereins (HGV) dokumentiert seit mehr als zehn Jahren Zeiten, an die sich allenfalls die ganz alten Ober-Röder und Urberacher erinnern. Die 2024er Auflage beleuchtet die jüngere Vergangenheit – den Wandel, der ab ungefähr 1970 das Ortsbild veränderte. Die Handwerker und Bauerndörfer wurden „modern“. Aus heutiger Sicht war das nicht immer zu ihrem Vorteil. Die späten Sechziger, vor allem aber die frühen Siebziger ließen die Ursprungsgemeinden des heutigen Rödermark wachsen. Im Vergleich zu 1950 hatte sich 1970 die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt. Wo die Orte ins Feld übergingen, entstanden Wohn- und Industriegebiete.

Die Bauern hatten schon Anfang der Sechzigerjahre ihre Hofreiten mitten im Ort aufgegeben und sind in Aussiedlerhöfe umgezogen. Mit Ställen und Scheunen verloren auch die Wohngebäude ihre Bedeutung. Sie waren für eine zeitgemäße Nutzung zu klein oder schlicht und einfach baufällig. Diese Zeit war eine der Bagger und Bauarbeiter. Einige Hofreiten wurden umgebaut, viel mehr wurden abgerissen. An ihrer Stelle entstanden Wohn- und Geschäftshäuser – eine vor 60 Jahren übliche Kombination.

„Manches Kleinod verschwand aus dem Straßenbild oder stand zwischen ganz neuen Gebäuden“, bedauert Patricia Lips, die Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins. Nicht selten verschwanden ganze Häuserzeilen. Zentrale Gebäude wie Rathäuser und Schulen wurden neu gebaut oder vergrößert, um den gewachsenen Anforderungen gerecht zu werden. In Urberach wurde gar ein Gotteshaus neu gebaut – die evangelische Petruskirche. Auffallend: Die Urberacher waren beim Modernisieren ihres Ortes den Ober-Rödern um einige Jahre voraus.

Die Straßen wurden breiter, um Platz für den zunehmenden Autoverkehr zu schaffen. Trotzdem hatte jeder nur ein paar Schritte zum nächsten Handwerker, Lebensmittelgeschäft oder Gasthaus.

Immer nur Bausünden? Diesen Satz lässt Patricia Lips nur bedingt gelten: „Heute würden wir architektonisch manch andere Entscheidungen treffen. Aber jede Zeit sollte aus sich selbst, den damaligen Sehnsüchten und den Zielen der Menschen heraus verstanden werden.“ Die Jahre um 1970 waren eine Zeit des Umbruchs, aber auch des Wandels. Und wer weiß, wie unsere Enkel über Kulturhalle und Bücherturm, die historische Elemente aufgreifen, urteilen?

Der Kalender 2024 dokumentiert eine Zeit, die viele noch kennen – egal, ob als Kinder oder Erwachsene. Der Aha-Effekt beim Durchblättern ist garantiert. Viel Material hat das von Herbert Sulzmann digitalisierte „Gedächtnis“ des HGV geliefert, lobt Patricia Lips einen ihrer Mitstreiter stellvertretend für alle.
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