Ein mitreißender Kabarett-Nachmittag mit Rabbi Walter Rothschild Vorgehaltener Spiegel: Lachen mit Tiefgang

Rabbi Walter Rothschild und sein musikalischer Begleiter Max Doehlemann am Klavier begeiserten das Publikum im Schiller-Haus. Foto: p

Rödermark (red) – Rabbi Walter Rothschild betritt die Bühne im SchillerHaus, stellt sich vor, und kaum fällt sein Nachname, da intoniert sein musikalischer Begleiter Max Doehlemann am Klavier auch schon den Evergreen „Money, Money, Money“ von Abba: Klar! Rothschild gleich Jude gleich Geld in Hülle und Fülle. Nur eines von mehreren Klischees.

Der Rabbi stellt zwar klar, dass es viele Träger dieses berühmten Namens gibt, „die einen haben Geld, die anderen sind nur nett“, und dass er heute hier sei, müsse wohl letzteres bedeuten, doch Doehlemann lässt sich nicht beirren: Das Prozedere wird zum running Gag eines bemerkenswerten kabarettistischen Spätnachmittags, den die Stadt und das AZ gemeinsam organisiert hatten.

Selbstironisch greifen der in England geborene und seit 1998 in Berlin lebende Rothschild und Doehlemann ein altes Vorurteil der Antisemiten auf und entlarven es gerade dadurch als dummes Klischee. Schon der Auftakt gibt die Richtung vor: Der Mann ist ein Komiker wie er im Buche steht, doch das Lachen bleibt dem Zuhörer manchmal im Halse stecken. Slapstick und Freude am Klamauk wechseln sich ab mit philosophischem Tiefgang. Das macht das Lachen an diesem Nachmittag so wertvoll: Es führt auch zum Nachdenken.

Man muss wohl irgendwann auf der Kleinkunstbühne landen, wenn man auf solch ein bewegtes Leben zurückblicken kann, wenn man gleichzeitig so lebensklug und mit allen Wassern des britischen und des jüdischen Humors gewaschen ist („Wir Juden hatten das Alte Testament, als es noch neu war“ oder „Jüdisches Blut ist Jesus negativ“), wenn man so mitreißend parlieren und sich auch selbst auf die Schippe nehmen kann.

Rabbi Walter Rothschild ist nicht nur ein außerordentlicher jüdischer Gelehrter, sondern ein ebenso begnadeter und immer wieder überraschender Geschichten-Erzähler – voller Witz, Charme und Biss.

Aus seinem Leben schlägt er die schönsten kabarettistischen Funken. Doch aus dieser autobiografischen Perspektive wird auch deutlich, wie es ist, in Großbritannien und Deutschland Jude zu sein.

Ach ja! Dass Rothschild sein Programm musikalisch würzt und, wie angekündigt, „Leider (!)“ singt, ist für das Publikum kein Grund, sich die Ohren zuzuhalten.

Ein Belcanto-Tenor ist er zwar nicht, aber ein genialer Interpret seiner Lieder, die als Couplets nach guter alter Kabarettmanier immer wieder eingestreut werden. Einige haben eher humoristischen Charakter, andere sind ziemlich ernst. Es geht um Beschneidungen, das Unterrichten und den Antisemitismus.

Und schließlich sind wertvolle Neuschöpfungen zu Schuberts Liederzyklen zu hören: „Die Winterbahnreise“ und „Schwangergesang“.