Ein furioser Abend bei der Lese-Insel mit Hans Schwab Keine Angst vor Balladen

Hans Schwab zieht das Publikum mit Balladen in seinen Bann. Bild: Jeannette Faure

Bergen-Enkheim (jf) – Dunkelblau-schwarzer Samt schimmerte im Hintergrund der Bühne. Davor ein Tisch mit einem funkelnden Weinglas, ein roter Paravent mit zierlichem Gitter. Minimalistische Szenerie im Bibliothekszentrum Bergen-Enkheim.

Vera Dopichaj, Leiterin der Bücherei, begrüßte die zahlreichen Gäste und dankte den Engagierten des Vereins Lese-Insel für die tatkräftige und die finanzielle Unterstützung. Anita Swoboda von der Lese-Insel kündigte den Künstler Hans Schwab an, der neben Fernseh- und Bühnenauftritten eigene Programme gestaltet.

Der Schauspieler, ganz in Schwarz, sodass die großen weißen Westenknöpfe herausleuchteten, stellte fest: „Balladen sind die Furcht der Schüler? Das verstehe ich nicht!“ Sein Lieblingsdichter Friedrich Schiller schrieb neben der „Ode an die Freude“ auch das weniger populäre, „Die Teilung der Erde“. Der Poet kommt zu spät, um noch etwas abzubekommen, aber Zeus tröstet ihn: „Willst du in meinem Himmel mit mir leben – So oft du kommst, er soll dir offen sein.“ Was für ein Versprechen 1795.

Spannend wie Krimis folgten Schillers „Bürgschaft“ und der „Taucher“. Die Zuhörer waren gebannt von Sprache, Mimik und Gestik. Die Meeresgewalt und die drohenden Strudel, die hoch aufspritzende Gischt überfluteten nahezu den Raum. Das Wetter draußen passte: Regentropfen klopften an die Fensterscheiben. „425 Fischsorten kannte man bereits zu Schillers und Goethes Zeiten. Das Meer hat Schiller übrigens nie gesehen“, flocht Hans Schwab ein.

Dann: Erster Einsatz für das diatonische Knopfakkordeon als Begleitung für ein Volkslied.

Pferdegetrappel, Wind, ein Reiter mit seinem Kind: Goethes „Erlkönig“ begeisterte weit entfernt von schulischen Erinnerungen an auswendig Gelerntes das Publikum.

Der „Totentanz“ mit einem Skelett als Marionette glich einem Puppentheaterspektakel.

„Der Zauberlehrling“, Goethes berühmteste Ballade, war für Ohren und Augen gleichermaßen ein Erlebnis.

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Heinrich Heines „Loreley“ mit Akkordeonbegleitung lud zum Mitsingen ein. Drei weitere Balladen von Heine folgten, zum Schluss des ersten Teils kam „Rheinischer Wein“ von Adam Krieger im Wortsinn zum Zug.

1882 schrieb Conrad Ferdinand Meyer die grausige Ballade „Die Füße im Feuer“ von Folter, Gastrecht und nicht vollzogener Rache. Grandios interpretiert von Schwab in Umhang, Pelerine und mit flackernder Laterne.

Tröstlich war „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ von Theodor Storm. Tatsächlich hatte Schwab eine Birne dabei und schenkte sie einer Dame in der ersten Reihe.

Das Unheil eines Gewitters beschrieb Gustav Schwab 1828 nach einem tatsächlichen Ereignis. Ein Blitz tötete vier Frauen aus vier Generationen. Skurril.

„Balladen waren die Short Storys des 19. Jahrhunderts“, erklärte Schwab. So verarbeitete Theodor Fontane ein Eisenbahnunglück in Schottland am 28.12.1879 in der Ballade „Die Brück’ am Tay“. Dabei nahm er eine Anleihe bei Shakespeares „Macbeth“ und ließ Hexen sprechen – kongenial und vielstimmig in Szene gesetzt von Hans Schwab. Gebannt lauschte das Publikum. Am Ende sagte Schwab: „Ist fertig!“ Erlösendes Lachen und Beifall.

„Über sieben Millionen Menschen aus deutschen Landen sind ausgewandert. Einige von ihnen hat der Goldrausch am Ende des 19. Jahrhunderts gepackt“, leitete der Schauspieler zur nächsten Ballade über: „Die Goldgräber“ von Emanuel Geibel, ein ziemlich blutrünstiges Werk.

Den unglaublichen Einsatz eines Weichenstellers für viele Menschen in zwei Zügen schildert eine Ballade von Karl Freiherr von Berlepsch. Die Zuhörer bangten mit: Gelingt diese unmenschliche Kraftanstrengung?

Zum Schluss legte Hans Schwab den Gästen ans Herz, höflich und dankbar für das Alltägliche zu sein. Jaques Prévert hatte dazu in den 1940er Jahren „Eine Höflichkeit ist die andere wert“ verfasst.

Für die Regie an diesem grandiosen Abends war Ronka Nickel verantwortlich. So also gehen Balladen auch. So mancher Besucher hat sich nach der Veranstaltung gewünscht, Hans Schwab wäre doch mal früher zu ihm in die Schule gekommen.