„Und was hat das mit mir zu tun?“ Autor Sacha Batthyany zu Gast in der Nationalbibliothek

Sylvia Asmus im Gespräch mit Sacha Batthyany. Foto: Faure

Nordend (jf) – Das Buch „Und was hat das mit mir zu tun? Ein Verbrechen im März 1945. Die Geschichte meiner Familie“ von Sacha Batthyany stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek.

Den Anstoß zur Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte gab ein 2007 veröffentlichter Artikel unter dem Titel „Die Gastgeberin der Hölle“ über das Verbrechen von Rechnitz (Österreich). Darin taucht die Gräfin Margit Thyssen-Battyány auf – sie soll etwas mit der Erschießung von 180 Juden zu tun gehabt haben. Die Gräfin, eine Tante von Sacha Batthyany, eine Mörderin? Sacha Battyany, 1973 in Zürich geboren, studierte Soziologie, lebt seit 2015 in Washington, D.C., und berichtet für den Tages-Anzeiger und die Süddeutsche Zeitung über Politik und Gesellschaft. Und er wollte herausbekommen, was hinter dieser Familiengeschichte steckt. „Batthyany ist in Ungarn eine bekannte Familie, deren Wurzeln bis ins 14. Jahrhundert reichen. Ich wollte wissen, was tatsächlich passiert war und fuhr nach Rechnitz“, erzählte der Autor.

Die im Beitrag genannten Fakten seien falsch gewesen, die Tante habe nicht geschossen. Aber ein paar Männer seien vom Fest der Gräfin weggegangen, hätten die Juden erschossen und seien anschließend wieder zurückgekehrt. „Dass Tante Margit nicht mit an der Grube stand, macht es für mich aber nicht besser. Und sie verhalf zwei Tätern zur Flucht“, äußerte Sacha Battyany. Das Massengrab habe man übrigens trotz mehrfacher Suche bis heute nicht gefunden. „Das ist für mich unverständlich und eine offene Wunde“, fügte der Autor hinzu. Für ihn mache die Tatsache, dass seine Tante die Täter und den Ort kannte, die Schuld aus. „Ich habe später den Autor Maxim Biller getroffen. Der hat meine Reportage über das Verbrechen von Rechnitz gelesen und mich gefragt: ‚Und was hat das mit dir zu tun?’. Er war der erste, der mich so ein bisschen schubste. Ich nahm die Frage ernst. So begann der zweite Teil der Geschichte.“

Ein schreckliches Geheimnis

Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933 bis 1945, stellte fest: „Sie gehen im Buch schonungslos mit sich selbst um.“ Batthyany habe Zeit gebraucht, um für das Buch den richtigen Ton zu finden. „Im Buch spielt das Tagebuch ihrer Großmutter eine wichtige Rolle. Wie kamen sie zu diesen Niederschriften?“, fragte Asmus. „Mein Vater hat das Tagebuch entgegen dem Wunsch seiner Mutter nicht verbrannt. Er gab es mir, selbst hat er nie hineingeschaut. Ich versuchte die Seiten, die nicht nummeriert und lose waren, zu ordnen. Das war anstrengend, auch die Schrift musste entziffert werden. Und der Inhalt war anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Ich stieß auf die Beziehung meiner Großmutter Maritta zu ihrer jüdischen Freundin Agnes Mandl. Beide Frauen verbindet ein schreckliches Geheimnis. Die Eltern von Agnes wurden im Schloss, in dem meine Großmutter aufwuchs, von deutschen Soldaten erschossen. Die Geschichte wurde als Selbstmord vertuscht. Agnes hat Auschwitz überlebt.“´Battyany fuhr nach Buenos Aires, wo die Töchter von Agnes und die alte Dame selbst lebten. Er sprach mit den Töchtern über das Tagebuch. „Jedes Detail ist für die Nachkommen von Holocaust-Opfern wichtig.

Vater las das Buch vor der Veröffentlichung

Die Erschießung war eine große Sache für die Familie, die jahrelang vom Selbstmord der Eltern ausgegangen ist. Klar war bei dieser Begegnung: Ich stand auf der anderen Seite. Das wurde zwar nicht ausgesprochen, war aber spürbar.“ Die Familie entschied, Agnes die Wahrheit über den Tod ihrer Eltern zu verschweigen. Sie hätte das wohl nicht überstanden. Battyanys Großvater saß zehn Jahre lang in einem sibirischen Gulag. Sacha Battyany machte sich mit seinem Vater auf nach Moskau und Jekaterinburg. Die distanzierte Beziehung zwischen Vater und Sohn blieb, aber sie entwickelten so etwas wie Verständnis füreinander. Der Vater habe sein Buch gelesen, bevor es veröffentlicht wurde. Und er verteidige es.„Ich bin in der Schweiz aufgewachsen. Die Schweiz hatte mit all dem nichts zu tun, da gibt es keine Denkmale für Opfer, nichts. Noch sind meine eigenen Kinder zu klein, aber ich möchte später mit ihnen über meine Familiengeschichte sprechen“, erklärte der Autor zum Schluss.