Vergebliche Hoffnungen, zerstörte Leben Gedenkstunde in der Budge-Stiftung

Inge Grunewald entzündet die erste Kerze, begleitet von ihrem Sohn und unterstützt von Rabbiner Andrew Steiman. Dahinter Gemeinderabbiner Avichai Apel und Doron Kiesel. Foto: Faure

Seckbach (jf) – Die Menschen sollen einander begegnen und bereit sein, einander wieder zu vertrauen. So heißt es im gemeinsamen Gebet der evangelischen Pfarrerin Gisa Reuschenberg, des Rabbiners Andrew Steiman und des Diakons Franz Reuter zu Beginn der Gedenkstunde in der Henry und Emma Budge-Stiftung.

Der 28. Nissan ist in Israel ein Nationalfeiertag, er folgt in festgelegtem Abstand auf das Pessach-Fest, das seit 3000 Jahren im Judentum begangen wird. „Zu Pessach steht der Gedanke der Freiheit, die Bewahrung der Freiheit im Mittelpunkt. Dazu ist der Austausch zwischen den Generationen sehr wichtig“, sagte Thorsten Krick, Geschäftsführer der Budge-Stiftung zur Begrüßung. Aus diesem Grund erzählte Inge Grunewald, 1930 geboren, ihre Geschichte in Kurzform. Mit anderthalb Jahren sei sie nach dem Tod ihrer Mutter ins jüdische Kinderhaus in der Hans-Thoma-Straße in Sachsenhausen gekommen, der Vater habe sie jede Woche besucht. „Doch nach der Pogromnacht am 9. November 1938 ist alles schlechter geworden. Wir Kinder haben uns oft in den Schränken versteckt. Eine unserer Betreuerinnen ist erschossen worden – sie wollte Lebensmittel für uns besorgen“, erzählte Grunewald.

Ein Wiedersehen gab es nicht

Vater Julius Grunewald wollte die Tochter in Sicherheit zu seiner Schwester nach Uruguay bringen, das gelang 1939, ein Cousin begleitete Inge. „Zum Abschied haben mir die Kinder noch Verse ins Poesie-Album geschrieben“, erinnerte sich die Frau. Andere jüdische Heimkinder wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert. Der Vater, der immer an ein Wiedersehen glaubte, starb 1944 in Theresienstadt. Ein Wiedersehen gab es nicht. Ein Wiedersehen ganz anderer Art erlebte Inge Grunewald 2015: An ihrer ehemaligen Schule, dem Philanthropin, bekam sie nach 76 Jahren ihr Zeugnis. Seit über 60 Jahren lebt die Frau in Israel in einem Kibbuz, hat drei Kinder, elf Enkel und acht Urenkel. Ihr Sohn Dani und zwei Enkel begleiten sie auf der Reise nach Deutschland.

Anschließend sprach Doron Kiesel, Bildungsbeauftragter des Zentralrates der Juden in Deutschland: „Durch solche Schilderungen wird uns bewusst, wie stark die Shoah noch in uns lebt.“ Kiesels Mutter hat 16 Jahre in der Budge-Stiftung verbracht, er selbst wurde in Israel geboren. „Meine Mutter und ihr Bruder konnten nach Palästina gelangen und überlebten. Viele Jahre ging meine Mutter täglich an den Hafen und hoffte, ein Schiff würde ihre Mutter mitbringen.

Gedenken an sechs Millionen Menschen

Erst 30 Jahre später erfuhr meine Mutter vom Tod ihrer Mutter, die auf einen der letzten Transporte nach Auschwitz geschickt und dort umgebracht worden war.“ Erinnerung sei etwas sehr Individuelles, sagte Doron Kiesel. Verdrängen helfe wenig, den oft schrecklichen Nachtgedanken entkomme keiner. Deshalb diene dieses Gedenken an Ereignisse, die nur 72 Jahre zurückliegen, dem Innehalten. „Religionen bieten das Fundament, um vieles besser zu verstehen“, bemerkte Kiesel.

Rabbiner Andrew Steiman erinnerte an den Aufstand im Warschauer Ghetto, der sehr bewusst am zweiten Seder-Tag des Pessach-Festes 1943 begann und Wochen dauerte. Auch nach dem „offiziellen Ende“ des Aufstandes führten Widerständige noch Aktionen durch. Mit dem traditionellen Anzünden von sechs Kerzen wurde der sechs Millionen Menschen gedacht, die während des Holocaust ums Leben kamen.