Kultur, Vielfalt und Einwanderung Ostend: Diskussion beim Kunstverein Familie Montez

Ina Hartwig (links) und Idli Baydar mitten im Gespräch. Foto: Faure

Ostend (jf) – Der Kunstverein Familie Montez bildete den Rahmen für eine Diskussion über Kultur. Also der richtige Ort, den die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) da ausgewählt hatte. Martin Gräfe, Leiter des FES Landesbüros Hessen, begrüßte die vielen Gäste, die trotz der Hitze den Weg in die Gewölbe unter der Honsellbrücke gefunden hatten. Thorsten Schäfer-Gümbel, Landesvorsitzender der SPD in Hessen, verkündete am Anfang seiner als Impuls gedachten Ausführungen eine Personalie: „Tanja Brühl soll nach dem SPD-Wahlsieg im Herbst Ministerin für Kultur und Wissenschaft werden.“

Zum Thema zitierte Schäfer-Gümbel den Fußballer Mesut Özil, der sagte, dass er als Deutscher betrachtet werde, wenn die Mannschaft gewinne, aber als Einwanderer, wenn sie verlöre. „Diese Aussage ist der Schlusspunkt in einer merkwürdigen Debatte. Wir müssen unterscheiden zwischen politischer Diskussion und rassistischen Feindseligkeit. Deshalb ist die MeToo-Debatte gut“, bemerkte der SPD-Landesvorsitzende und unterstrich: „Jeder vierte Deutsche hat ausländische Wurzeln. Das wird oft vergessen.“ Er verwies auf Hatice Akyün, die zu MeToo bemerkte: Wir (Migranten) reden jetzt mit. „Es ist Aufgabe der Kultur, diese Debatte aufzunehmen“, betonte Schäfer-Gümbel.

Hilmar Hoffmann forderte „Kultur für alle“, aber leider werden nur 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland überhaupt mit kulturellen Angeboten erreicht. „Die Kämpfe um den Kulturetat sind immer kompliziert, Kultur und Soziales dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“, bemerkte der Politiker. Er forderte, sich laut in gesellschaftliche Debatten einzumischen: „Resonanzräume werden dann von anderen gefüllt, wenn sich Kulturschaffende zurückziehen.“ Demokratie, so zitierte er Georg-August Zinn, sei nicht nur eine Staatsform, sondern eine Lebenshaltung und müsse erlernt werden. „Wir brauchen eine stärkere politische und kulturelle Bildung“, verlangte Schäfer-Gümbel, „und das Land soll mehr verlässliche Förderung der Kultur leisten.“

Dezernentin Ina Hartwig moderierte 

In der anschließenden Gesprächsrunde diskutierten dazu Anselm Weber, Intendant des Schauspiel Frankfurt, Susanne Pfeffer, Direktorin des Museums für Moderne Kunst, und Idil Baydar, Popkabarettistin aus Berlin. Kulturdezernentin Ina Hartwig moderierte. „Die Kunstfigur Jilet Ayse, der Integrationsalbtraum, wird verstanden“, erklärte Baydar, Tochter einer Türkin, in Celle geboren und mit deutschem Pass. Schon allein sprachliche Unterschiede gäbe es zwischen der ersten und der dritten Ausländergeneration in Deutschland. „Inzwischen sind Shisha-Bars das Äquivalent für eine andere Kultur“, bemerkte sie.

Im internationalen Kunstbetrieb werde die Debatte über Identität anders geführt, meinte Susanne Pfeffer. „Wir stehen erst am Anfang einer Diskussion“, sagte Anselm Weber. Er stellte fest, dass gegenwärtig Deutsche deutsches Fernsehen und Türken türkisches Fernsehen sähen. Das sei früher anders gewesen und habe Folgen. „Avantgardistische Projekte wie ein internationales Theaterprogramm waren im Ruhrgebiet schwierig“, gab Weber zu, „das Publikum war komplett überfordert.“ Die kulturpolitische Bildung sei vernachlässigt worden. „Solche Projekte haben wir in Frankfurt komplett durch Spenden finanziert, Stadt und Land haben nichts dazugegeben.“

Auch Thorsten Schäfer-Gümbel war dabei

Thorsten Schäfer-Gümbel stellte fest: „Es gibt massive Verunsicherungen bei den Menschen. Alle suchen nach Orientierung. Die einen ziehen sich zurück, die anderen begegnen Veränderungen offen.“ Außerdem beobachte er: „Gegenwärtig spitzt sich die Bezogenheit auf sich selbst zu.“ Das habe sicher auch damit zu tun, dass nur auffalle, wer laut sei. Zum Thema Integration konstatierte Idil Baydar: „Wir haben verpasst, den Türken das Deutschsein als etwas Gutes zu vermitteln.“ Deshalb sei die Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Situation dringend notwendig. Auch Anselm Weber machte auf eine „vollkommen misslungene Identitätsdiskussion in den letzten 20 bis 30 Jahren in Deutschland“ aufmerksam. Schnelle Antworten gab es keine auf dieser Veranstaltung. Aber manches zum Nachdenken.