Eine Reise durch die Moderne mit der Tramlinie 12 von Schwanheim nach Fechenheim Nächste Haltestelle: Großstadt

Gleisbauarbeiten 1956 auf der Battonstraße mit Blick in die Berliner Straße.

Frankfurt (red) – Die Trambahnen, die heute durch Frankfurt fahren, zischen, blinken und blitzen. Sie streifen an elektrischen Oberleitungen entlang auf Schienen, die sich von Ginnheim nach Offenbach, von Louisa Bahnhof nach Preungesheim oder – im Falle der Tramlinie 12 – vom grünen Schwanheim bis ins Industriegebiet Fechenheims erstrecken. Eng verwoben mit dieser Trambahngeschichte ist die Historie der Stadtteile, nach denen das Verkehrsmittel seine Schienen mit der Industrialisierung wie Fühler ausgestreckt hat.

Mit dem technischen Wandel ging ein Zeitenwandel in ehemaligen Dörfern wie Schwanheim und Fechenheim einher: Vom Leben im Einklang mit der Natur hin zum Takt der Uhr.

Wer auf der Strecke und während der Fahrt mit der Tram 12 genau hinhört und -sieht, kann die Spuren des großstädtischen und industriellen Aufbruchs in Frankfurt entdecken: Die elektrischen Straßenbahnen gibt es seit 138 Jahren. Aber der eigentliche Ursprung des Tramverkehrs der Stadt liegt weiter zurück; 150 Jahre. Die erste Bahn, die am 19. Mai 1872 zwischen Schönhof in Bockenheim und Hauptwache verkehrte, fuhr mit einer genügsamen Durchschnittsleistung von einem PS über die vor ihr liegende geschiente Straße.

Nicht von einer Maschine angetrieben, sondern von einem Pferd gezogen, erreichte das Fahrzeug etwa zehn Kilometer pro Stunde. So legte die Pferdebahn das Fundament für den heutigen innerstädtischen Schienenverkehr. Sie fuhr im Laufe der Jahre durch Bockenheim, Sachsenhausen, über die Konstablerwache – heute zentraler Verkehrsknotenpunkt, an dem auch die Linie 12 entlang rattert – und vielerorts mehr. Die Pferdebahn war 32 Jahre lang ein wichtiger Bestandteil des städtischen Lebens und in ihren Hochzeiten wurden 900 Pferde und mehr als 200 Wagen eingesetzt. Die Ausbauarbeiten konzentrierten sich auf die Erschließung der Stadtteile. Sie verband Bornheim, Bockenheim, Rödelheim, Sachsenhausen, das Westend, Nordend, Ostend und den Hauptfriedhof mit der Innenstadt. Das frühere Bauerndorf Schwanheim und das ehemalige Fischerdorf Fechenheim zählten noch nicht zu diesen Stadtteilen; die Pferdebahn erreichte sie nicht. Beide Dörfer wurden erst am 1. April 1928 eingemeindet. Sie sind am gleichen Tag Teil einer Großstadt geworden und doch prägt sie ein ganz unterschiedlicher Charakter. Besonders in Fechenheim hat die Industrialisierung mit großen Veränderungen Einzug gehalten. Werbung, Logos, Kommerzialisierung – zahlreiche Fabrikansiedlungen bestimmen das Erscheinungsbild der Gegend. Zur Zeit der Pferdebahnen gab es nicht einmal eine Schienenverbindung nach Fechenheim. Heute fährt allein die Linie 12 an die hundert Mal am Tag von Schwanheim bis zur Endhaltestelle in der Fechenheimer Hugo-Junkers-Straße. 17,9 Kilometer legt die Tram auf dieser Strecke zurück.

Vor Schwanheims Idylle machte die technische Revolution derweil genauso wenig Halt wie vor Fechenheim. Die Schienen erreichten sie sogar schon früher: Vor der elektrischen Straßenbahn fuhr hier die Frankfurter Waldbahn, eine normalspurige Dampfstraßenbahn, die von 1889 bis 1929 verkehrte. 1899 übernahm die Stadt Frankfurt diese und integrierte die Strecken schrittweise in die elektrische Straßenbahn.

An einem normalen Freitag, dem betriebsstärksten Tag wegen des Nachtverkehrs, sind es etwa 25.000 Kilometer, die alle Straßenbahnzüge in Frankfurt zusammengenommen zurücklegen. Die meisten von ihnen sind Straßenbahnen vom Typ S, der zweitjüngsten Fahrzeug-Generation Frankfurts, die seit Anfang der 2000er-Jahre durch die Stadt rollen. Sie stellen mit 74 Exemplaren den größten Teil der aktuellen Flotte. Auch auf der Linie 12 werden sie genutzt und könnten eine Höchstgeschwindigkeit von 70 Kilometern pro Stunde erreichen; die etwa siebenfache Geschwindigkeit der Pferdebahnen. Da aber auch für die 12 die regulären Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten, erreicht sie ihre Höchstgeschwindigkeit im Linienverkehr nicht.

Wer in Schwanheim losfährt, tut dies in der Rheinlandstraße am alten Stationshäuschen der Waldbahn. In der dörflichen Umgebung des von 1888 erhaltenen urigen Fachwerkgebäudes im Stil der Neurenaissance ist es zumeist ruhig. Wie ein Bote aus vorindustrieller Zeit kräht hier manchmal ein Hahn. Nebenan im Kobelt Zoo sitzt er und teilt sein Quartier mit wiehernden Pferden und Schweinen.

In Schwanheim – früher „Sweinheim“ – mit seinen gepflasterten Straßen, wo vorangehende Generationen ihren Zeittakt vor allem nach den Bedürfnissen ihrer Nutztiere ausrichteten, hängt eine Uhr am Stationsgebäude. Mit minutengenauen Abfahrtsplänen von Zügen und Bahnen wurde diese im Industriezeitalter immer wichtiger. In der Rheinlandstraße fährt die 12 meist sehr pünktlich ab. Am Stationshäuschen machen Tramfahrer einige Minuten Pause, bevor sie zur nächsten Runde aufbrechen. Eine davon dauert im Schnitt eine Stunde und elf Minuten.

Von hier aus geht es durch Niederrad, an der Uniklinik vorbei, über die Friedensbrücke in die Innenstadt. Der Beginn der Fahrt aus Schwanheim führt durch die grüne Lunge der Stadt: An den Haltestellen Ferdinand-Dirichs-Weg bis Kiesschneise stehen rundum Bäume. Enge Kurven, kreuzender Verkehr, zur Tram sprintende Fahrgäste: „Ab der Friedensbrücke kann es schon ganz schön nervig werden. Aber so richtig konzentrieren muss man sich am Hauptbahnhof in der Münchener Straße“, berichtet ein Tramfahrer. Am Hauptbahnhof – 500.000 Reisende täglich – herrscht so viel Trubel, dass kaum Zeit für Grüße zwischen den Fahrern bleibt. Auf der Weiterfahrt streift die 12 viele Orte, die Geschichten bieten. Vom Finanzverkehr im Bankenviertel, über den Tourismus am Römer, die Ausstellungen im MMK bis zum Nachtleben an der Konstablerwache, am Friedberger Platz und in Bornheim. Über begrünte Gleise an der Eissporthalle geht es nach Fechenheim, wo ein Haus des Wirtschaftswunders steht, das des 2012 insolvent gegangenen Versandhändlers Neckermann. In der Nähe finden sich die ehemaligen Cassella-Farbwerke, einer der größten Arbeitgeber der Industrialisierung. Wer mit der 12 fährt, kann Jahrzehnte der Stadtgeschichte erleben.