Erlenseer Graveurmeister Ernst-Jürgen Pohl arbeitet gestochen scharf „Aushängeschilder“ für Firmen

In seiner Erlenseer Werkstatt gestaltet der Graveurmeister mithilfe der Fräsmaschine ein Messing-Plättchen: die Vorlage für einen Buchrücken. Bild: sabine müller

Erlensee – Wer würde vermuten, dass in einer kleinen, vollgestopften Werkstätte für Gravuren in der Erlenseer Wilhelmstraße Produkte entstehen, die zu „Aushängeschildern“ für Weltfirmen werden? Graveurmeister Ernst-Jürgen Pohl ist ein vielseitiger Handwerker. Mit seinem Ein-Mann-Betrieb arbeitet er Druckereien und Lederwarenbetrieben zu, die namhafte Kundschaft beliefern. Zu seinen beruflichen Glanzlichtern gehört die DFB-Meisterschale. Den Gravierstichel in die Schublade legen will der 72-Jährige noch lange nicht. „Es ist ein Job, den nicht jeder macht. Die Auftragslage ist gut. Weshalb sollte ich aufhören?“

Wenn Ernst-Jürgen Pohl aus seinem Leben erzählt, kommt immer wieder sein Geburtsort zur Sprache. Er sei ein waschechter Steinheimer, betont er: „Es war eine Hausgeburt.“ Auch seine Mutter stammt aus Steinheim, der Vater war aus Schlesien geflüchtet. Als die Familie mit den drei Kindern nach Offenbach zieht, wo der Vater in einer Druckerei arbeitet, lernt der Junge dort Graveurmeister Grohmann kennen, der Heißfoliendruckwerkzeuge herstellt. Beim Ferienjob übt der 14-Jährige schon mal, worauf es in dieser Branche ankommt: In feste Werkstoffe wie etwa Metall oder Kunststoff werden Schriften, Ornamente und Verzierungen mit Maschinen gefräst oder mit der Hand gestochen. Dafür braucht es handwerkliches Geschick, künstlerisches Talent und präzises Arbeiten. Nicht von ungefähr sei der Ausdruck „gestochen scharf“ auf sein Berufsbild zurückzuführen, erläutert Pohl eines der ältesten Handwerke. „Schon in der Bronzezeit wurden auf diese Weise Gegenstände verziert.“

Mit der dreieinhalbjährigen Graveur-Lehre beginnt er 1966 nach dem Hauptschulabschluss; 1980 hat der Geselle den Meisterbrief in der Tasche und geht nach Frankfurt in eine Schilderfabrik. Als er einen Silberschmied in Klein-Auheim kennenlernt, macht er sich in dessen Räumen selbstständig. Heute arbeitet Pohl schon lange in seiner eigenen kleinen Werkstatt in Rückingen, wo einst ein Holzschuppen stand.

Der 72-Jährige zieht Schubladen aus dem Schrank und öffnet Ordner; breitet den Inhalt von Holzkästen und Folien auf dem Tisch aus. Bildschön und aufwendig verziert sind die Banderolen für berühmte kubanische Zigarren. Pohl hat die Druckplatten für ihre Prägung als Dienstleister für eine holländische Druckerei hergestellt. Für eine Sponsoren-Aktion hat er darüber hinaus mal sechs Banderolen aus Silber gestaltet. „Die Kiste mit den sechs Zigarren ist damals für 15 000 Dollar verkauft worde.“ Auch die Schriftzüge auf Produkten bekannter Marken wie etwa Lindt, Ferrero, Hachez, Otto Kern, Mercedes, Porsche, Audi und Picard stammen ursprünglich aus der Werkstatt des Erlenseer Graveurs. In einer Glasvitrine hat er die Umverpackungen aufgereiht. „Viele Jahre lang habe ich das Krönchen für die Bundesäppelwoi-Königin gemacht“, berichtet er und präsentiert ein Exemplar aus den 90er-Jahren.

Das Stück, worauf er besonders stolz ist, kann der Graveur dagegen nicht mehr vorweisen: die Meisterschale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). „Ein Goldschmied in Oberrodenbach hat die ‘Salatschüssel’ zur Überarbeitung bekommen“, berichtet Pohl, „die Fußballer sind nicht immer so pfleglich damit umgegangen.“ Der Wanderpokal wurde dann an den Erlenseer weitergereicht, der von 1998 bis 2008 die Namen der Siegervereine gravierte. „Das musste unter Zeitdruck geschehen und durfte nicht an die große Glocke gehängt werden“, erinnert er sich. Auch ein Kamera-Team habe mal darüber berichtet, aber seine Werkstätte nicht genau verortet. Mit der Geschäftsaufgabe des Goldschmieds war auch Pohls Arbeit beendet.

Als „Hobby und Ausgleich zum Beruf“ geht der Erlenseer auf Motorrad-Tour – gerne mit seiner Frau als Sozia. Seitdem er 27 Jahre alt ist, ist er leidenschaftlicher Biker. Natürlich schlägt sich auch diese Begeisterung in der Arbeit nieder: Pohl zeigt Gürtelschnallen und Nietteile vor, die er für Motorradfahrer gefertigt hat. Und viele bunte Fastnachtsorden – ein weiteres Hobby. Für die Kinziggeister und die Chorgemeinschaft Erlensee, vor allem aber für den Carneval-Club Schwarz-Weiß (CCSW) Steinheim hat er schon viele Orden geschaffen.

Ein Nachfolger für seine Werkstätte ist nicht in Sicht. Die beiden erwachsenen Töchter haben sich beruflich anderweitig orientiert. „Graveure sind heute dünn gesät“, sagt er. Ein paar gibt es aber wohl doch noch. So ist der Erlenseer bei der Hanauer Zeichenakademie Mitglied der Prüfungskommission für Gesellen. „Und jüngst hat die Handwerkskammer Wiesbaden angefragt, ob ich Meisterprüfungen abnehmen kann.“ Ernst-Jürgen Pohl ist dabei.
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