Gebrochene Nase, gebrochener Finger, vier Platzwunden am Kopf, massive Prellungen und eine Hirnblutung/Drogen verursachten den Wahnzustand 34-Jähriger wird für schuldunfähig befunden

Der schuldunfähige G. neben seiner Verteidigern Sarah Gärtner. Foto: man

Obertshausen (man) – Ein 34-Jähriger muss nicht ins Gefängnis, obwohl er versucht hatte, eine Freundin zu erschlagen. Die 38-Jährige überlebte die Attacke schwer verletzt. Die Tat begann der Obertshausener G. im schuldunfähigen Zustand von durch Drogen verursachten Wahn. Mittlerweile gilt der Mann laut Gutachter als geheilt.

Die nächsten drei Jahre steht G. nach dem Urteil der 11. Strafkammer des Landgerichts Darmstadt jedoch unter Aufsicht. Es passiert selten, dass Opfer und Täter während einer Pause besonnen miteinander reden. Als es weiter geht, fragt Anwältin Sarah Gärtner die Geschädigte, ob ihr Mandant auch offiziell zu ihr sprechen dürfe. „Natürlich“, antwortet sie. „Es ist schrecklich, es tut mir so leid“, erklärt G., „das weiß ich“, antwortet die Geschädigte.

Am 5. Dezember 2017 holte ein Notarztwagen die blutende Frau aus dem Flur eines Wohnhauses in Obertshausen ab. Diagnose: Gebrochene Nase, gebrochener Finger, vier lange Platzwunden am Kopf, massive Prellungen an Oberkörper und Armen und eine Hirnblutung. Zwei Wochen verbrachte die 38-Jährige im Krankenhaus, drei in der Reha. „Bis auf einen krummen Finger bin ich hergestellt“. Als der Vorsitzende Richter Jonas Prümm fragt, wie es ihr psychisch gehe, schießen ihr Tränen in die Augen. Vom 4. auf den 5. Dezember habe sie bei G. übernachtet. Als es mittags klingelte- wie sich später herausstellte ein Nachbar, der Werkzeug leihen wollte-, rief G. die Polizei an. Die Beamten sagen aus, der Mann habe vor Ort wirres Zeug geredet, „die Welt sähe ihn lieber tot“. Die Freundin habe zugesagt, sich weiter zu kümmern.

„Ich habe das falsch eingeschätzt und mich überschätzt“, blickt die Geschädigte zurück. Erst mit der Hand, dann mit einem Holzstock und im Anschluss mit der Eisenstange eines Spiralbohrers habe G. auf sie eingeschlagen und immer nach dem Namen seines verstorbenen Onkels gefragt. Schließlich gelang es der Frau, auf den Hausflur zu gelangen, wo sie blutend lag und schrie.

Gutachterin Madita Richl zählte später die Spuren von mindestens 22 Schlägen. Als Nachbarn kamen, ging ihr Peiniger in die Wohnung zurück. Später ließ er sich vor der Polizei problemlos mit den Worten verhaften, „Danke, dass ihr mich rettet“. G. berichtet von seiner Heirat 2015.

Nach zwei Monaten trennte sich seine Frau, „ein schwerer Schlag“. Im Mai 2016 habe er angefangen, neben Marihuana auch Amphetamin zu konsumieren, im Februar 2017 stationär entzogen, nach drei Monaten wieder angefangen. Seine Erinnerungen an die Tat seien verschwommen. Er habe gedacht, die Freundin wolle ihn töten.

In der Zeit habe er panische Angst empfunden, kaum noch geschlafen. Richter Prümm liest aus Mails des 34-Jährigen an sich selbst vor.

Als Kind hätten ihn die Eltern verkauft, damit fremde Mächte aus ihm Stammzellen gewönnen. „Ich habe meinen Bub in der Zeit nicht mehr erkannt“, formulieren es beide Elternteile. Der Aufenthalt in der Psychiatrie dauerte bis April. Seitdem lebt G. bei den Eltern. Mittlerweile arbeitet er wieder in seinem Ausbildungsberuf. Eine Zeugin sagt, er verhalte sich so sozial wie früher, „ich würde ihm wieder meinen Sohn anvertrauen“.

Der psychiatrische Gutachter trägt vor. Dr. Dieter Jöckel hatte G. bei dessen Aufenthalt in der Klinik untersucht, „als dessen Erkrankung bereits am Abklingen war“. Der Mediziner spricht „von einem spezifischen Störungsbild durch erhöhten Konsum von Haschisch und Speed“. Der habe zu einer „exogenen Psychose geführt, die ohne Drogen nicht entstanden wäre“. Nach exogenen Psychosen folge der Katzenjammer: „’Was habe ich nur getan’“.

So auch bei G., der erzählte, auf die Frau eingeschlagen zu haben, weil er dachte, sie wolle ihn töten, „auf Befehl seines verstorbenen Onkels habe sie ihn bereits mit AIDS infiziert“. Jöckel rät, G. zum Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik zu verurteilen, aber die Vollstreckung gegen Auflagen weiter auszusetzen, „einer der seltenen Fälle, wo sich das empfiehlt“. Dazu gehöre Betreuung durch einen Bewährungshelfer, die Fortführung der Psychotherapie, monatliche Drogentests und Meldung von Negativerlebnissen, die ihn aus der Bahn werfen könnten. Oberstaatsanwalt Alexander Homm spricht von einem Lehrstück, „welche verheerenden Folgen sogenannte weiche Drogen haben können“.

Der Richter Prümm folgt dem Antrag des Oberstaatsanwalts. Ihm gibt der Vorsitzende mit auf den Weg, „die Frau hatte Glück, das überlebt und haben, und Sie, von Ihrer Psychose runter gekommen zu sein“.

Die Verteidigerin hatte plädiert, auf eine Unterbringung, zur Bewährung ausgesetzt, ganz zu verzichten, „die Angst, anderen zu schaden, hält meinen Mandaten ab, wieder Drogen zu nehmen“. Das verspricht G., „ich kann nicht in Worte fassen, wie Leid mir das tut“. Die Verfahrenskosten muss er tragen.