„Klassenkämpfe“ – auch Schüler protestierten vor 50 Jahren An der Ausstellung im MfK wirkten heutige Schüler mit

Mathias Rösch führt durch die Ausstellung im MfK. Foto: Faure

Sachsenhausen (jf) – Mathias Rösch, Leiter des Schulmuseums Nürnberg, kooperiert zum dritten Mal mit dem Museum für Kommunikation. In der neuen Gemeinschaftsexposition, die Rösch kuratiert, geht es um die Haltung der Schüler in den Jahren 1968 bis 1972. „Die Schülerproteste sind weitgehend vergessen. Doch der Bayrische Verfassungsschutz überwachte damals auch Schulen. Diese Ausstellung ist erst der Anfang, um dieses Kapitel aufzuarbeiten“, sagte Rösch. Frankfurt war damals auch bei den Schülern das Zentrum der Proteste, doch es gab Aktionen, die das ganze Land bewegten. Neben Frankfurt spielt in der Schau auch Nürnberg eine Rolle. „Wir haben die Exposition gemeinsam mit heutigen Schülern gestaltet, ihre Ideen sind mit eingeflossen“, unterstrich der Kurator.

Die Ausstellung gliedert sich in acht Stationen: Wandel der Rollenbilder, Erziehungsmethode Prügel, Umgang mit Sex, Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, Provokationen der Schülerschaft, Rebellion, Popmusik als begleitender Sound der Zeit sowie Nachdenken über Klassenkampf. Über 100 zumeist unveröffentlichte Exponate zeigen Entwicklungen, es gibt vier Hörstationen und vier Eckbänke mit Tablets, auf denen man sich über weitere Hintergründe informieren kann. „Die Tablets sind ein Experiment. Wir wollen ja auch die jetzige Schülergeneration ansprechend und sind gespannt, wie das ankommt“, sagte Helmut Gold, Direktor des Museums für Kommunikation. Ein Zeitstrahl von 1956 bis 1972 ermöglicht die Einordnung in den geschichtlichen Kontext.

In den Sound der Ende 1960er/Anfang 1970er Jahre eintauchen

Gleich an der ersten Hörstation kann man in den Sound der Ende 1960er/Anfang 1970er Jahre eintauchen: Ein altes Tonband kann abgehört werden; auf einer Spur ist der Hitparaden-Favorit Heintje zu hören, auf der anderen Bob Dylan, die Beatles und die Stones. Ein fassungsloser Realschullehrer äußerte sich nach einem Fernsehauftritt von Jimi Hendrix gegenüber der Redaktion: „Glauben Sie wirklich, dass die verwahrlosten, unappetitlichen Gestalten, die sich da zuckend vor dem Mikrofon produzieren, geeignet sind, unserer an sich labilen Jugend als nachahmenswertes Vorbild zu dienen?“

„Damals waren wohl etwa zwei Drittel der Schüler in einer Klasse inaktiv, ein Drittel rebellierte“, berichtete Rösch, „viele Themen prasselten in jener Zeit auf die Schüler ein.“ Aus Tagebüchern und Briefen erhält man einen Eindruck der Befindlichkeiten vor 50 Jahren; 35 Zeitzeugen stellten ihre persönlichen Dokumente zur Verfügung oder gaben Interviews. Als besonderer Schatz erwies sich das Archiv des Heinrich-von-Gagern-Gymnasiums, aus dieser Bildungseinrichtung stammt beispielsweise ein bemaltes und angekokeltes Klassenbuch des Schuljahres 1968/69.

Rohrstock als probates Erziehungsmittel

Der Rohrstock als probates Erziehungsmittel spielte nicht nur in der Volksschule eine Rolle, auch in Gymnasien wurde noch geprügelt. 1972 verboten die meisten Bundesländer die Prügelstrafe – Bayern folgte erst 1983. Karin Storch hielt 1967 an der Elisabethenschule eine aufsehenerregende Abitur-Rede. „Schüler entdecken die Demokratie für sich“, bemerkte Rösch dazu. Schüler entdeckten auch den Sex, eine Umfrage zu diesem Thema in der Schülerzeitung der Bettina-Schule schlug bundesweit hohe Wellen.

„Wir wollen die Revolte zeigen und ihre Gründe. Eine Mystifizierung der 68er und die Unterstützung weiterer Legendenbildung ist nicht unser Anliegen“, verdeutlichte Mathias Rösch. Die Ausstellung ist bis zum 22. Juli auf der ersten Etage des Hauses am Schaumainkai 53 zu sehen und wird von einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitet. Nicht zufällig wurde die Exposition am Abend des 11. April eröffnet – an diesem Tag vor 50 Jahren verübte ein Rechtsextremist das Attentat auf Rudi Dutschke.