Das Schoko-Ohr und andere Geschichten Ganz persönlich: Die Entwicklung des Weltkulturen Museums

Kuratorin Alice Pawlik vor der Wand mit Ausstellungsplakaten aus über 30 Jahren. Foto: Faure

Sachsenhausen (jf) – „Geschichten erzählen Geschichte“ ist eine ganz besondere Ausstellung. Aus persönlicher Sicht berichten Verwaltungsangestellte, Kuratoren, Kustoden, Anthropologen, Mitarbeiter, Veranstaltungsmanager, Nachfahren ehemaliger Bewohner, Restauratoren und Bibliothekare über das, was sie im 1904 von Bürgern gegründeten heutigen Weltkulturen Museum erlebt haben.

Das Plakat zur Exposition ist ein bisschen schräg; es zeigt zwei Putzfrauen beim Saubermachen. Eine stellt fest: „Ilse, das Schokoladenohr ist weg!“ Die mexikanische Künstlerin Minerva Cuevas war im Sommer 2013 als Gast im Haus am Schaumainkai 37. Sie beschäftigte sich anlässlich der Ausstellung „Ware & Wissen“ mit Kannibalismus.

Ihr künstlerischer Beitrag war die Konzeption und Produktion eines Ohrs aus Schokolade. Gute Idee – nur mit der Haltbarkeit ist es so eine Sache. Also nahm Cuevas das Ohr vor ihrer Abreise mit in ihre Wohnräume, um es zu präparieren. Auf dem Küchentisch der Gastwohnung wurde es zum Trocknen aufgestellt. Der Reinigungsdienst arbeitete gründlich; auch das Schokoladenohr wurde als übrig gebliebener Lebensmittelrest entsorgt. Minerva Cuevas stellte schließlich ein zweites Schoko-Ohr her, das nun in einer Vitrine zu sehen ist.

Geschichten sammeln

16 weitere Geschichten werden erzählt, der Besucher kann sich nicht nur ansehen, was sich hinter diesen Berichten verbirgt, er kann die Geschichten sammeln – sie sind auf Deutsch und Englisch auf einem neben den Objekten platzierten Abreißblock zum Mitnehmen gedacht. Am Ende des Rundgangs kommt so ein kleines Heft zusammen, ein Cover liegt ebenfalls bereit.

In einer anderen Vitrine ist eine Helmmaske aus dem Senegal zu sehen. Sie besteht auf Palmblatt, Büffelhörnern, Pflanzenfasern, applizierten roten Abrusbohnen. Imposant – aber schlecht erhalten. Eine Zeichnung von Peter Kraus, der in den 1980er Jahren als Grafiker im Haus arbeitete, gibt wieder, wie die Maske einst aussah. Doch worum geht es einem Restaurator? „Ziel ist es, die ästhetischen und historischen Werte des Denkmals zu bewahren und zu erschließen“, heißt es dazu in der Charta von Venedig, 1964. Entsprechend stellten die Restauratorinnen Mareike Mehlis und Kristina Werner fest: „Das Ergänzen fehlender Elemente – wie beispielsweise das erneute Hinzufügen von Abrusbohnen – birgt immer die Gefahr, dass ursprüngliche Gebrauchsspuren verloren gehen und ein Stück Objektgeschichte verfälscht wird.“

Ein Wand voller Plakate

Tim und Struppi im Weltkulturen Museum? Diese Geschichte erzählt Afrika-Kustodin Yvette Mutumba. „Immer, wenn ich als Kind krank war, schenkte mir mein Großvater einen Comic. ‚Tim & Struppi’ zählte zu meiner Lieblingslektüre. Ganz besonders war für mich der Band ‚Tim im Kongo’, denn es war faszinierend, den Ort, an dem ich prägende Momente meiner frühen Kindheit verbrachte, nun in einem Comic zu sehen.“ 25 Jahre später stößt die inzwischen als Kustodin im Weltkulturen Museum arbeitenden Yvette Mutumba auf Objekte mit Motiven aus diesem Comic – darunter ein sonderbares Tablett – gesammelt vor dem Jahr 2000; mehr Informationen gibt es nicht. Sichtbar wird allerdings die Geschichte „von Kolonialismus und Rassismus, von Sammlungs- und Forschungsinteressen, von Kritik und Neubewertung – deshalb wurden die Objekte in die Sammlung aufgenommen“.

Neben Objekten gibt es in den Räumen auch Kataloge und eine Wand voller Plakate ab 1979 – nicht alle würde man heute in dieser Form und Aussage wieder so veröffentlichen. Eine Audiostation zeichnet Situationen der Vermittlung nach.

„Unendlichen Geschichte des Neubaus“

Auf dem Weg in die obere Etage sieht der Besucher auf halber Treppe einen Stadtplan: Rote Markierungen deuten mögliche Standorte für ein neues Museum an. In den oberen Räumen kann sich der Besucher dann mit der „unendlichen Geschichte des Neubaus“ auseinandersetzen. Nein, ein Wink mit dem Zaunpfahl soll das nicht sein. Aber die Zeitungsartikel, Briefe, Architekturpläne, Wettbewerbsunterlagen und Modelle bieten einen Überblick zur noch immer offenen Diskussion über das Haus und eines möglichen Neubaus.