Erinnerung an einen genialen Außenseiter Ein Abend mit Ringelnatz

Museumsleiterin Erika Fischer, Aart Veder und Regina Reitz-Pohl (von links). Foto: Kunstforum/privat

Seligenstadt (red) – Eine große Resonanz erfuhr der Ringelnatz-Abend „Ich bin etwas schief ins Leben gebaut“ des Kunstforums Seligenstadt: Das Winterrefektorium war voll besetzt. Die Gestalter dieses Abends, die Ringelnatz-Kennerin Regina Reitz-Pohl und der Schauspieler Aart Veder, zeigten sich ebenso wie Erika Fischer, die eigens aus Cuxhaven angereiste Leiterin des dortigen Ringelnatz-Museums, höchst beeindruckt vom großen Interesse des Seligenstädter Publikums.

Und das wiederum war begeistert vom Dargebotenen. Während Reitz-Pohl sich auf charmante Weise mit der Biografie des Dichters befasste, widmete sich Veder mit lebhaftem und ausdrucksstarkem Vortrag den Gedichten, Geschichten, Briefen und Tagebuchaufzeichnungen von Ringelnatz. In diesen Texten finden sich Dialekt, Mundart, Jargon und fremdsprachliche Ausdrücke. Aart Veder hat diese Feinheiten gekonnt herausgearbeitet, wofür ihn das Publikum mit großem Applaus ehrte.

Allgemein bekannt sind Ringelnatz´ Nonsens- und Scherzgedichte, allenfalls noch kleine Geschichten, aber wer ist dieser Mann, der in einem Fragebogen angab, seine Lieblingsblume sei Seegras und sein Lieblingsgetränk Terpentinöl? 1883 in Wurzen bei Leipzig geboren, zieht es den 17-jährigen 1901 zur See. Auf einem Dreimast-Segler macht er seine erste Reise und lernt die raue, derbe Welt der Seeleute kennen. Diese Erfahrungen sind für ihn so ernüchternd, dass er in Brasilien beschließt zu desertieren. Doch die Flucht missglückt, er gewöhnt sich an dieses harte Leben und fährt noch viele Jahre zur See, lernt fremde Länder kennen, fremde Sprachen und fremde Mädchen. Diese Zeit findet literarischen Niederschlag in seinem „Schiffsjungen-Tagebuch“.

1909 kommt Ringenatz nach München und ist von der dortigen Boheme fasziniert. Erste Auftritte in der Künstlerkneipe „Simplizissimus“ machen ihn bekannt, er wird zu einer lokalen Berühmtheit und gibt sich dem ausschweifenden Leben der Stadt hin. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wird sein Ton schärfer, er lässt die politischen Wirrungen der Zeit in seine Verse einfließen. Ringelnatz – mit bürgerlichem Namen Hans Bötticher – heiratet 1920 und zieht nach Berlin. Inzwischen hat er seine Kunstfigur entwickelt, den lärmenden, stets angetrunkenen Seemann „Kuttel Daddeldu“, den er auf allen Bühnen der damaligen Republik spielt. Er ist mit dieser Rolle zwar erfolgreich, Geldsorgen plagen ihn aber sein ganzes Leben lang. Da er dem aufkommenden Nationalsozialismus kritisch begegnet, werden auch seine Arbeitsmöglichkeiten eingeschränkt und Ringelnatz stirbt 1934 mit 51 Jahren an Tuberkulose. Was von ihm bleibt, die Essenz seines Werkes: Appetit nach Leben!