Das Baumaufstellen war allerdings ein kleines Desaster: mehr als zwei Stunden dauerte es, bis die 14 Jungs rund um Kerbvadder Tobias Brockmann das 20 Meter hohe Wahrzeichen mit Kranz und Puppe in die Höhe gewuchtet hatten. Die Kerbmänner aus dem Vorjahr trugen ausnahmsweise keine Schuld daran. Sie hatten den Schacht für den Kerbbaum nicht mit Tierexkrementen befüllt, wie so viele vor ihnen. Trotz der fachmännischen Anleitung von Zimmermann Andreas Werkmann dauerte es weit über 90 Minuten, bis der Baum in der Senkrechten stand. Bis dahin hatte auch manch einer der zahlreichen Zuschauer den Nerv verloren und wandte sich lieber schon mal dem Festzelt zu.
Beste Stimmung im Festzelt
Apropos Festzelt: hier herrschte schon am Freitagabend allerbeste Stimmung, mit der The Hangover Rock-Pop-Party-Covershow hatte das Kerbteam einen perfekten „Partyanzünder“ verpflichtet. Mit der Band Junx war der beliebte Hamburger Showact zu Gast, der schon im Jubiläumsjahr für eine so grandiose Stimmung gesorgt hatte. Da tobte das Zelt auch wieder. „Sensationell, so haben wir uns das vorgestellt“, sagte Armin Schuler, Kassenwart des gastgebenden Vereins, zufrieden auf die feiernde Menge blickend. Den Nordlichtern gefällt es auf der Dreieicher Bühne: „Wir kommen echt gerne hierher und sind immer ganz überrascht über diese Freude, die uns hier empfängt. Sprendlingen ist der südlichste Zipfel Deutschlands, den wir bespielen und wir kennen im Norden ja auch keine Kerb. Das ist echt eine gute Erfindung“, sagt Christopher von den Junx.
Sprendlinger Traditionskerb
Damit hat die Sprendlinger Traditionskerb jetzt also auch offiziell Fans in Hamburg. Pfarrer Winfried Gerlitz hatte für Sonntagmorgen zum Kerbgottesdienst in die Erasmus-Alberus-Kirche am Lindenplatz geladen. Schließlich musste der Pfarrer daran erinnern, was die Kerb eigentlich ist: das Kirchweihfest. Das tat er auf so humorvolle Weise und mit tatkräftiger Unterstützung seines Obertshausener Kollegen Michael Zlamal – selbst einst Sprendlinger Kerbborsch – dass die Kirche regelrecht rockte. Schon gleich zu Beginn rief Zlamal die Gläubigen an: „Wem ist die Kerb?“ und ein lautes „Unser!“ hallte durch das Gotteshaus. In der Predigt machten sich die die biblische Geschichte von der Suche nach dem gelobten Land mit Abraham und seinem Sohn Isaak zunutze. Die beiden Pfarrer standen in der Rolle der beiden Bibelfiguren in Sprendlingen und stellten fest: „Sprendlingen ist schon ziemlich nah dran am Paradies“. Das gab natürlich Szenenapplaus und Jubel. Ein bisschen Lästerei in Richtung Dreieichenhain durfte nicht fehlen. Wollten sich die Nachbarn doch eigentlich die ältere Kerb auf die Fahne schreiben: „Dabei war die Sprendlinger Kerb eindeutig früher. Da saßen sie noch auf ihren Steinbruch, den sie Burg nennen“, sorgte für Gelächter.
Kerbborschen-Jahrgang 1968 feiert Jubiläum
Und das brachte den Pfarrern sogar sicher äußerst seltene „Zugabe!“-Rufe für ihre gemeinsame Predigt ein. Die Yellow Birds gestalteten gemeinsam mit dem Duo Steinbock den Gottesdienst gesanglich mit. Beim Sprendlinger Lied hielt es die Kirchenbesucher nicht in den Bänken und sie standen ergriffen mitsingend auf. Winfried Gerlitz und Michael Zlamal bekamen anschließend viele Schulterklopfer von Kerbborschen, ehemaligen Kerbborschen und zahlreichen Besuchern, wie schön die Stunde des gemeinsamen Gebets war. Ein besonderer Jahrgang feierte die ganzen Tage auf dem Festplatz ausgelassen mit: Kerbvadder von 1968, Bodo Schuchard, und 14 seiner damals 29 Jungs. Inzwischen ältere Herren, aber immer noch begeisterte Kerbliebhaber. Eugen Grimeisen erinnert sich gerne zurück: „Wir haben seinerzeit einen Aufruf gestartet. Tenor: Alles, was arbeitsscheu und trinkfest ist, bitte melden“, erinnert sich Grimeisen, der seit drei Jahren in der Schweiz lebt. Ehrensache für ihn, dass er zum 50. gekommen ist. Vor etwa einem Jahr haben die Herren mit den Vorbereitungen für den runden Kerbborschen-Geburtstag begonnen, erzählt Oldie-Kerbvadder Schuchard. Zwar wohnen viele noch in Dreieich, aber über die Jahre waren auch Kontakte verloren gegangen. Bei der Recherche stellte sich heraus, dass inzwischen sieben der damaligen Kameraden verstorben sind. „Einige haben wir nicht gefunden, einige wollten nicht“, berichtet Schuchard. Die Truppe freut sich natürlich über die Wiederbelebung der Kerb, die 2016 bei ihrer 300. Auflage eine spektakuläre Auferstehung feierte. Klar, dass beim Schoppen die alten Geschichten lebendig werden. „1968 gab es in Sprendlingen noch 50 Gaststätten“, sinniert Bodo Schuchard. „Wir haben von den Wirten 54 Fässer Bier spendiert bekommen“, erinnern sich die Herren. Die Kerb ging am Dienstagabend mit der Kerbverbrennung im Sprendlinger Bürgerpark zu Ende.