Pfarrerin Tanja Sacher hat ihren Dienst in der Schlossstadt begonnen „In Heusenstamm hat’s total gut gepasst“

Tanja Sacher ist seit Anfang Juni mit einer halben Pfarrstelle in Heusenstamm tätig. Foto: p

Heusenstamm (red) – Tanja Sacher ist auf der Suche nach geistiger Freiheit beim Studium der Theologie gelandet. Dass sie nun auch als hessen-nassauische Pfarrerin arbeitet, war nicht von Anfang an klar. Wie ihr Weg sie über den sibirischen Plattenbau und ein internationales Studentenwohnheim, über den CVJM und außergewöhnliche Gottesdienstformen, über das Vikariat in einer kleinen Kirchengemeinde und ein halbjähriges Praktikum in einer Möbelschreinerei im Taunus nach Heusenstamm führte, wo sie seit Anfang Juni im Gemeindedienst arbeitet, ist eine spannende Geschichte.

Die erste Begegnung mit den existenziellen Fragen des Glaubens ereilten Tanja Sacher mit Eintritt in die Mittelstufe – und damit in den Konfiunterricht, der, wie alles weitere Religiöse, nicht eben als Lebensthema vorherbestimmt war. Geboren und bis zum Alter von neun Jahren aufgewachsen im russischen Nowosibirsk, kam die heute 31-Jährige 1995 mit ihren Eltern nach Deutschland – „ohne ein Wort Deutsch“, wie sie erzählt. Und ohne jegliche Berührung mit Glaubensfragen in einem Land, das nach wie vor von fast einem Jahrhundert Kommunismus geprägt ist.

Schnell gewöhnt sie sich im Badischen, in der Nähe von Bruchsal, ein, lernt die Sprache, findet Freunde. Die haben sich mit 13 Jahren zur Konfirmation angemeldet und sagten ihr: „Komm mit! Konfi ist cooo. Am Ende gibt es eine Party.“ Das hat sie damals wohl ausreichend überzeugt. Und am Ende hat sich herausgestellt: Die Party war nicht das einzig Gute. Der Konfirmandenunterricht hat Spaß gemacht und sie an die großen Fragen des Lebens herangeführt: „Warum bin ich ich? Wo komme ich her?“ Oder „Was passiert mit mir, wenn ich sterbe?“

Über die Konfirmandenzeit kam sie zur ehrenamtlichen Mitarbeit im Familiengottesdienst der Gemeinde, machte später Jugendarbeit im sehr aktiven CVJM-Regionalverband mit Gruppenstunden, Freizeiten, Aktionstagen sowie im „Impulse-Team“, das in wechselnden Gemeinden Jugendgottesdienste feierte. Zwischen Konfi und Abi, erzählt sie, „war ich sehr stark in diese Strukturen eingebunden und fühlte mich wohl, aber irgendwie fehlte mir da was“. Beziehungsweise: „Der klar definierte Weg mit einem klar definierten Bild von Gott war mir zu wenig, zu eng, ich habe Freiheiten gesucht und Dinge hinterfragt.“

Neue Impulse brachte das Studium an der Berliner Humboldt-Universität, „wo Schleiermacher durch die Gänge weht“. Friedrich Schleiermacher war ein großer Theologe des 19. Jahrhunderts und ist die Gründungsfigur einer liberalen Theologie. Dort lernte sie die wissenschaftliche Theologie kennen. Etwa ein kritisches Herangehen an biblische Texte. Es entstanden neue Fragen: „Was ist die Grundlage unseres Glaubens, wenn es nicht die Bibel ist, wie ich sie bisher verstanden habe?“ Und neue Erkenntnisse: „Der Grund meines Glaubens liegt tiefer – hat eher etwas mit Fühlen als mit Wissen zu tun.“

„Ich habe die Möglichkeiten des Studiums voll ausgeschöpft, um das zu entdecken“, bekennt die Theologin: „Und habe meinen Glauben im Innersten gefunden.“ Dabei habe sie „gelassen studiert und viel gelebt“, unter anderem in einem Wohnheim mit 18 Studentinnen und Studenten aus zwölf Nationen. „Das hat noch mal neue Horizonte geöffnet.“ Und immer wieder: „neu denken, neu erfinden, schauen, was es mit mir macht.“ Auch das Berufsziel „Pfarrerin“ stand alles andere als fest, sondern wurde erst bei der Frage nach dem erstrebten Studienabschluss zur Option.

In Berlin-Mitte entwickelte sie in einem Team Konzepte für neue, experimentelle Gottesdienstformen. In der Zionskirche am Prenzlauer Berg initiierte die Gruppe Ausstellungen mit Stadtteilkünstlern und feierte Brunch-Gottesdienste „nicht mit Zuschauern, sondern mit Teilnehmern, bei denen jeder selbst entscheiden kann, ob und wie weit er sich einbringt“.

Nach vier Jahren Studium in Berlin kehrte Tanja Sacher zurück nach Baden, an die Uni Heidelberg. Das erste theologische Examen absolvierte sie 2013, das zweite nach dem Vikariat in Lorsbach im Taunus 2016. Und über ihren heutigen Ehemann, ebenfalls Theologe, der an der Uni Leipzig lehrt und promoviert und dessen erster Roman im Oktober im Tempo-Verlag erscheint, führte ihr Weg sie zur Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN).

Vor der bis dato letzten Station Heusenstamm absolvierte die Pfarrerin das obligatorische Spezialpraktikum – nicht etwa in einer kirchlichen oder sozialen Einrichtung, sondern in einer Möbelschreinerei. „Ich hatte vorher noch nie wirklich mit den Händen gearbeitet und war fasziniert von diesem Handwerk. Zum einen hat es mir viel Spaß gemacht, handwerklich zu arbeiten und ich fand es spannend, diesen Arbeitsalltag in der Schreinerei zu erleben, zum anderen habe ich es total genossen, mit den Gesellen in der Werkstatt zusammenzuarbeiten und mit ihnen auf Baustellen unterwegs zu sein.“

Teamarbeit zusammen mit ihren beiden Pfarrkollegen Susanne Winkler und Sven Sabary sowie den weiteren haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern wird auch in Heusenstamm gefragt sein. In der dortigen evangelischen Kirche ist die Mutter von zwei kleinen Kindern seit 1. Juni mit halber Stelle tätig und freut sich darauf, „dass wir uns gegenseitig inspirieren und unterstützen“. Erste Tätigkeitsfelder neben Gottesdienst und Seelsorge werden die Arbeit mit den Konfirmanden sein, sowie die Begleitung des Flüchtlingscafés in der Gemeinde, „auf das ich mich besonders freue“; denn es knüpft an Vorerfahrungen aus ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit beim Verein Teachers on the Road an, für den Tanja Sacher geflüchtete Menschen in Deutsch unterrichtete.

Mit anderen Worten: „Es hat total gut gepasst hier in Heusenstamm.“