Startschuss für „Stille Stunde“ im Rewe-Tekin / Hoffnung auf Durchbruch Pause von der schrillen Umwelt

Besonderes Erlebnis: Kundin Marion Basoglu nimmt während der „Stillen Stunde“ ihre eigenen Geräusche stärker wahr. Bild: ans

Heusenstamm – Weniger Licht, keine Musik, gedämpfte Kassengeräusche: Die „Stille Stunde“ hat am Mittwoch im Rewe-Markt Tekin während des Normalbetriebes ihr Debüt gefeiert. Gedacht ist das Projekt, das sich insgesamt über zwei Stunden erstreckt, insbesondere für Menschen im Autismus-Spektrum. Aber auch Senioren sowie Personen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen soll die von Betreuer Georg Diederichs angestoßene Aktion ein möglichst stressfreies Einkaufen ermöglichen.

Für Nicht-Betroffene ist der erste Sinneseindruck im reizarmen Markt allerdings zunächst ungewohnt. Insbesondere das Hörgefühl gleicht aufgrund der sonst gewohnten Dauerbeschallung zu Beginn jenem, das sich einstellt, wenn Ohropaxbällchen in den Ohren stecken. Glaubt man doch in den ersten Minuten, um einen herum ist es weiterhin laut und nur das eigene Empfinden sei anders. So dringen, ähnlich wie bei der Verwendung von Geräuschunterdrückern, nur vereinzelte, wenn auch leisere Geräusche bis ins Ohr vor. Zu hören ist etwa das Klappern eines Einkaufswagens oder das Rascheln einer Chipstüte, die aus dem Regal genommen wird. Nach kurzer Zeit löst sich die anfängliche Verwirrung allerdings auf. Und die Erkenntnis: Es hat etwas Erholsames, der alltäglichen Geräuschflut entfliehen zu können.

Ähnlich sieht das auch Supermarktkundin Marion Basoglu. Ihr wird, auch wenn sie nicht zu den Betroffenen zählt, angesichts der „Stillen Stunde“ besonders bewusst, dass „die heutige Welt sehr reizüberflutet ist“. Gleichzeitig stellt sie in der Stille im Lebensmittelladen fest, dass die eigenen Geräusche mehr zu hören sind. Deshalb versuche sie, diese zu reduzieren, erläutert Basoglu und spricht dabei in gedämpftem Tonfall. Insgesamt, so ist die Heusenstammerin überzeugt, rücke das Projekt die Schwierigkeiten von Menschen im Autismus-Spektrum auch mehr ins Bewusstsein.

Dies ist wohl einer der positiven Effekte der „Stillen Stunde“. Im Vordergrund steht dabei allerdings der Abbau von Barrieren, wie an den Erläuterungen von Rainer Marx, Vorsitzender des Behindertenbeirats der Stadt Offenbach, deutlich wird. Marx hat das Projekt gemeinsam mit Diederichs sowie Sven Malsy, Geschäftsführer des Paritätischen Offenbach, und Rainer Eckert vom Netzwerk „Arbeit & Autismus Rhein-Main“ initiiert. Ist ihnen doch nur allzu bewusst, dass die vielen Reize im Supermarkt gerade für Menschen mit Autismus eine Qual sind.

Deshalb sind in dem Geschäft an der Frankfurter Straße für die Aktion auch die Lichter reduziert worden. Ein Fakt, der im Gegensatz zu den fehlenden Lautsprechern nicht erst der Gewöhnung bedarf. Trägt es doch unmittelbar zur Beruhigung des eigenen Nervensystems bei, dass die Produkte nicht durch aufdringliches Licht beworben werden.

Die Initiatoren hoffen nun, dass die „Stille Stunde“, die nun immer mittwochs von 15 bis 17 Uhr stattfinden soll, sich in Heusenstamm durchsetzt. Sven Malsy und seine Mitstreiter sind davon überzeugt, dass das Projekt bald auch in anderen Supermärkten umgesetzt wird.

Von Anna Scholze