Im Erzählcafé des Geschichtsvereins berichten Gertrud Bruder, Joachim Weipert und Willi Röder Blütezeit der Lederwarenbranche in Mühlheim

Gertrud Bruder erzählt, wie sie in Heimarbeit Leder für Brieftaschen zuschnitt, die nach Japan gingen. Damals konnten die Mühlheimer „Babbscher“ von der Arbeit gut leben. Unser Bild zeigt außerdem (von links) Willi Röder, Karl-Heinz Stier und Joachim Weipert. Foto: Mangold

Mühlheim (man) – Leder war über Jahrzehnte der Motor für die Wirtschaft in der Region Offenbach. Zur vom Geschichtsverein verlängerten Ausstellung „Taschen, Koffer, Portemonnaies“ im Stadtmuseum berichteten frühere Unternehmer der Branche und eine Heimarbeiterin in einem Erzählcafé von ihren Leben mit den Tierhäuten.

Zuerst fragt Moderator Karl-Heinz Stier Joachim Weipert, der mittlerweile in den Schwarzwald umgezogen ist. Der einstige Unternehmer hatte 1957 mit 27 Jahren das von seinem Großvater Jean Weipert 1919 gegründete Familienunternehmen übernommen, das sich während der 1930er Jahre in Offenbach zu einer Firma mit weltweitem Ruf entwickelt hatte. Dass in der Fabrik an der der Bernhardstraße einmal 400 Angestellte arbeiteten, lässt sich heute nur noch schwer vorstellen.

Im Jahr 1969 verabschiedete sich das Unternehmen aus Offenbach und zog nach Lämmerspiel. Die Firma nannte sich von nun an „Traveller Jean Weipert“. „An der Bernhardstraße konnten wir nicht bleiben“, erzählt Joachim Weipert. Das verwinkelte Gebäude mit seinen sieben Stockwerken habe sich für moderne Produktionsweisen zunehmend weniger geeignet. Außerdem ging der Fahrstuhl ständig kaputt.

Weipert erklärt, Offenbach habe sich nicht unbedingt ein Bein ausgerissen, als es darum ging, das Unternehmen in der Stadt zu halten. Die Hilfe bei der Suche nach einem neuen Grundstück wirkte wohl eher flau. Ganz anders habe sich das Zusammenspiel mit dem Lämmerspieler Bürgermeister Hans Hölzel gestaltet, „der zeigte mir gleich das Grundstück an der Kolpingstraße“. Das konnte Weipert günstig kaufen, „unter der Bedingung, dass wir innerhalb von zwei Jahren mit der Produktion beginnen“. Ende der 70er Jahren überlegte man sich im Unternehmen, wohin man Teile der Produktion auslagern könne. Zunehmend fiel es schwer, mit den deutschen Kosten im Rücken auf dem Markt zu konkurrieren.

Weipert erzählt von einer chinesischen Firma aus Taiwan. Die hatte zur Ansicht einen Aktenkoffer geschickt, „sehr gute Qualität, ich dachte, das Leder kommt aus Italien“. Die Lämmerspieler kamen mit Taiwan ins Geschäft, später mit Indien; 1996 übergab Joachim Weipert die Führung an seinen Sohn Alexander und verabschiedete sich aus der Geschäftsführung, „Vater und Sohn gemeinsam, das kann manchmal klappen....“. Mittlerweile nennt sich die Firma Traveller Sedona GmbH mit Sitz in Offenbach und lässt komplett im Ausland als Lizenznehmer von Bugatti produzieren.

Das Leben von Willi Röder gibt sicher locker Stoff für eine illustre Biographie. Der Dietesheimer kaufte einst Kunstleder in der DDR und ließ im sozialistischen Ungarn produzieren. Röder erzählt von einer Partnerfirma auf den Philippinen, deren Produktion ins Stocken geriet, weil von 60 Näherinnen plötzlich 45 schwanger waren. Ebenso wenig als Balsam für Röders Nervenkostüm dürfte die Lederlieferung von 1973 aus Südkorea gewesen sein, „die war verschimmelt“. Positive Erfahrungen machte der Lederkaufmann mit der Familie Schickedanz und deren Versandhaus Quelle: „Die beglichen die Rechnung innerhalb von drei Tagen.“

Gertrud Bruder berichtet von einer Zeit, als die Arbeit von zu Hause noch nicht „Homeoffice“ hieß. Die heute 90-Jährige und ihr Mann, ein gelernter Portefeuiller, bekamen ihre Aufträge erst von Wolf und Ullrich in Lämmerspiel und dann von Alfred Roth.

Heimarbeit als Angestellte

In der heimischen Werkstatt schnitten noch die Schwester und eine Nachbarin Leder für Brieftaschen zurecht, die nach Japan gingen, „die wollten lange und schmale“. Die Bruders arbeiteten nicht unter den heute üblichen Mummenschanz-Titeln wie „Subunternehmer“ oder „Ich-AG“, „wir waren ganz normale Angestellte mit Urlaub“. Die Firma stellte die Maschinen und bezahlte die Energiekosten. Stier fragt Gertrud Bruder, ob es gutes Gehalt gegeben habe. „Mit meiner Rente bin ich zufrieden“, antwortet sie.