Sonderausstellung des Geschichtsvereins Mühlheim Blütezeit der Babbscher bis in die 70er Jahre

Karl-Heinz Stier (rechts), der Vorsitzende des Geschichtsvereins, und sein Stellvertreter Hans-Jürgen Mloschin eröffneten im Stadtmuseum die neue Ausstellung. Foto: Mangold

Mühlheim (man) – Der Geschichtsverein eröffnete am Freitagabend vor viel Publikum seine neueste Ausstellung im Stadtmuseum. Der Titel: „Taschen, Koffer, Portemonnaies – Die Produktion der „Babbscher“ & Portefeuiller in Mühlheim am Main.“ Die Präsentation ist Spiegel einer Industrie, die Jahrzehnte das wirtschaftliche Leben in Mühlheim bestimmte und bis heute fast vollständig verschwunden ist.

Die Ausstellung gab es schon einmal, zumindest zum Teil, aber in einem Raum der Firma Traveller Jean Weipert GmbH in Lämmerspiel für die Öffentlichkeit eher diskret verborgen. Das Unternehmen zog im verletzten Jahr um. Joachim Weipert lieh dem Geschichtsverein dauerhaft eigene historische Exponate. Die Schau setzt sich außerdem aus Erzeugnissen der Firma Trach und Leihgaben von Privatleuten zusammen. Darunter ist eine kleine Arzttasche, die Inge Fischer von ihrer Tante Alice erbte, die wiederum als Kind die Tasche vor 150 Jahren von ihrem Vater hergestellt bekam. Ein Stethoskop passt rein, mit dem sich einst der Gesundheitszustand der Puppen überprüfen ließ.

Die Räume des Stadtmuseums passen ideal zum Thema. Durch die Lederstücke, die historischen Werkzeuge und Holzbänke riecht es, als hätten hier gerade noch Gesellen gewerkelt. So wie 1917. Weil die Versorgung der Zivilbevölkerung im Krieg im Argen lag, sah es in einem Raum so ähnlich aus wie jetzt. Hans-Jürgen Mloschin erzählt, wie sich in der damaligen Volksschule das Klassenzimmer in eine Schuhmacherwerkstatt verwandelte, um die Füße der Schüler zu versorgen. Mloschin organisierte die Ausstellung zusammen mit sieben weiteren Vereinskollegen.

„Bub, wirst Babbscher“

Wohl mancher Jugendliche bekam bei der Frage der Berufswahl zu hören: „Bub, wirst Babbscher“. Gemeint war das Handwerk eines Feintäschners, auch Portefeuiller genannt. Das klang dem Hessen zu vornehm, der sagte „Portefeller“- oder „Babbscher“. Der Name rührt von einem Grundstoff. Meist klebten die Feintäschner die Lederstücke mit „Babbs“ zusammen, also Leim. In Mühlheim hieß es oft, „guck, da wohnt en Babbscher“.

Eine Vitrine widmet sich jenen Babbschern, die Einzelteile in Heimarbeit klebten. In der Ausstellung liegt ein Lithografiestein aus, den der Portefeller benutzte, um darauf mit einem speziellen Messer die Ränder „zu schärfen“. Anschließend klebten die Feintäschner die Stücke auf dem Stein zusammen. Wer zu Hause arbeitete, benutzt als Unterlage dicke Pappe. Irgendwann war die vom Kleber durchnässt und stand dann zum Trocknen draußen an der Hauswand, Erkennungszeichen der Babbscher.

„Mit den Lederwaren aus Mühlheim verhielt es sich ähnlich wie mit den Frankfurter Würstchen“, erklärt Karl-Hein Stier, „die stammen aus Neu-Isenburg“. Die Mühlheimer Erzeugnisse firmierten unter „Offenbacher Lederwaren“. Wirtschaftlich hing auch Mühlheim lange von der Lederindustrie ab. Im Jahr 1929 gab es dort 30 Betriebe, in Dietesheim 16, in Lämmerspiel weitere 15. Während des Zweiten Weltkriegs sank die Zahl. Später trug die Renaissance der Lederindustrie in Mühlheim zum Wirtschaftswunder bei. Karl-Heinz Stier, der Vorsitzende des Geschichtsvereins, erzählt von 60 Betrieben. Die Offenbacher Lederindustrie stand vor allem für die Produktion feiner Damenhandtaschen und Portemonnaies. Letztlich ging die Hochschule für Gestaltung (HfG) aus der Kunstgewerbeschule hervor. Dort lernten Feintäschner, etwa die Charakteristika des Jugendstils ins Taschendesign fließen zu lassen.

Billige Importprodukte

Das Ende der Lederindustrie deutete sich bereits in den 60er Jahren an, auch wenn die Branche nennenswert bis in die 80er vertreten war. Stier referiert die Produktionskosten eines Portemonnaies, die bei 30 Mark pro Stück lagen. Mit Importprodukten konnten die schließlich nicht mehr mithalten, die samt Zoll, Fracht und Herstellung den türkischen oder marokkanischen Betrieb nur zehn Mark kosteten. Das Qualitätsargument zog nicht mehr entscheidend. Firmen verlagerten ihre Produktion t in Billiglohnländer, erlitten dort jedoch oft Schiffbruch. Das Luxussegment brach schließlich ebenfalls weg, als in Folge des Washingtoner Artenschutzübereinkommens von 1973 auch die Verarbeitung von Krokodilleder verboten wurde. Die Ausstellung im Stadtmuseum an der Marktstraße 2 ist in diesem Jahr an den Sonntagen von 11 bis 16 Uhr bis zum 17. Dezember zu sehen, dann wieder am 14., 21. und 28. Januar zu gleichen Zeit.