Geschichtsverein bringt eine Sammlung an regionalen Rezepten zusammengefasst in einem Buch heraus Fabuliert & Schnabuliert – Mühlheimer Geschichten rund ums Essen

Der Kern der Buchmannschaft (v.l.): Rüdiger Faller, Angelika Loewenheim, Gerda Brinkmann, Karl-Heinz Stier und Ingeborg Fischer. Foto: man

Mühlheim (man) – Besonders hinter den Rezepten regionaler Küche steckt in der Regel ganz viel Historie. Rezepte spiegeln die ökonomische und ökologische Bedingungen wieder. „Fabuliert & Schnabuliert – Mühlheimer Geschichten rund ums Essen“ umfasst bewusst weit mehr als die Fragen, wie lange die Forelle im Backofen liegen muss, die Kartoffeln in der Pfanne braten sollen. Dem Geschichtsverein gelang es mit seinen Autoren, anhand von bekannten und vergessenen Gerichten vor allem den Zeitgeist nach dem Krieg einzufangen.

Heute lässt sich das kaum vorstellen, aber früher trugen die Männer sonntags einen Anzug. Gerda Brinkmann schreibt, wie ihr Onkel Schorsch sonntagmorgens seine Angel am Mainufer in der Hoffnung befestigte, das Mittagessen werde bald anbeißen. Das passierte auch. Mit dem imposanten Hecht am Haken schwamm aber die Angel weg. Onkel Schorsch sprang hinterher und ruinierte seinen einzigen Zweiteiler: „Der Schädel des Hechts wurde jahrelang in der Küchenschublade aufgehoben.“

Auf der Doppelseite erklärt Angelika Loewenheim unter „Grätenhorror elegant gelöst“, wie sich versteckte Skelettteile ohne Gepittel beseitigen lassen. Darunter steht ein Rezept für Fischfrikadellen. Die Liste dessen, was sich in Supermärkten heute finden lässt, wirkt endlos. Ingwer, Litschis oder Mangos bot der Krämer ums Eck früher genauso wenig an wie Straußenfleisch, Sojamilch und Maracuja. Fleisch kostete ein Mehrfaches, weshalb der Schweinebraten nur selten in der Röhre schmorte. „Industriell hergestellte Produkte dominieren; das klassische Mittagessen entfällt heute in der Regel“, konstatiert Karl-Heinz Stier, der Vorsitzende des Geschichtsvereins, „ein Lebensmittelskandal ist nach zwei Tagen vergessen“. Dass Essen früher im Müll landete, war undenkbar,„aus trockenem Brot machte man ‘Arme Ritter’“. Im Buch steht das Rezept unter der Überschrift „Leckere Resteverwertung“. Die trockenen Roggen- oder Weißbrotscheiben landen erst in einem Brei aus Eiern, Milch und Zucker, dann in einer gebutterten Auflaufform, schließlich bei 160 Grad für 40 Minuten im Backofen. Angelika Loewenheim erzählt von ihrer Nachbarin Antonie Krebs, der letzten Müllerin im Ort. Die Krebs pflückte die Brenneseln stets mit den bloßen Händen, was gegen Rheuma helfe. Die Brenneseln werden in der Pfanne wie Blattspinat zubereitet. Es entsteht ein würzig, kräftiger Geschmack und niemand muss fürchten, sich den Mund zu verbrennen.

Im 268 Seiten dicken Buch befinden sich rund 600 Fotos, darunter viele historische von Mühlheimer Bürgern und Häusern. Ein Großteil der Bilder zeigen Gerichte und Pflanzen. Über Wochen war Loewenheim auf Motivsuche unterwegs gewesen. Kein leichtes Unterfangen, denn auf freiem Terrain fiel ein Großteil der Flora der Hitze zum Opfer.

Wie einem Profi ist es der Frau gelungen, alle Rezepte so zu kochen und ins Bild zu setzen, dass sie ausgesprochen appetitlich wirken. Für die Umsetzung und den Druck sorgte der Mediengestalter Rüdiger Faller, der ebenso ehrenamtlich arbeitete wie die 16 Autoren.

Ingeborg Fischer erzählt vom Desaster im Hause von Mutter Ottilie aus Lämmerspiel. Ottilie schob den Sonntagsbraten stets schon am Samstag in den Ofen, denn bis heute gilt, „am nächsten Tag schmeckt der noch besser“. Abends gingen ihre beiden Söhne in die Kneipe. Sechs, sieben Biere fließen dann schnell mal ab, gerne von ein paar „Korze“ flankiert. Wer sich auskennt, der weiß: In dem Zustand meldet sich nachts der große Hunger.

Als Ottilie am nächsten Morgen in die Küche kam, war der „Krobbe“, wie der Bräter heißt, sogar gespült, als hätten ihre Buben die Existenz des Bratens aus der Geschichte tilgen. Nicht bei Mutter Ottilie, die schrie ihre verkaterten Söhne morgens erst mal wach. Gerda Brinkmann deutet an, ihrem Sohn habe sie wegen des gleichen Delikts ebenfalls einmal gehörig die Leviten lesen müssen. Zu kaufen gibt es „Fabuliert & Schnabuliert – Mühlheimer Geschichten rund ums Essen“ für 19,50 Euro im Mühlheimer Buchlanden; dienstags zwischen 10 und 12 und donnerstags von 15 bis 17 Uhr im Treff an der Offenbacher Straße 26, später auch auf dem Weihnachtsmarkt.