Dietesheimer Kerb endet mit Beerdigung der Symbolfigur „Dem Kerbborsch treu“

Taschentücher und Tränen zum Abschied: Die Dietesheimer trugen ihren Kerbborsch nach vier Tagen wieder zu Grabe.

Diddesem – Der Erfolg der Dietesheimer Kerb ist einfach zu erklären: Hier ist es schön, egal, ob im Hof hinter dem Schwesternwohnheim oder neben der barocken Gustav-Adolf-Kirche. Am Dienstag ging das Dietesheimer Volksfest mit dem Ableben des Kerbborschs zu Ende, wie immer im Sarg, begleitet von Tränen und feuchten Taschentüchern. „Als ich das Holz gerochen habe, da spürte ich, wir haben wieder Kerb“, erzählt Nick Zortea, der Vorsitzende des gleichnamigen Vereins, vom Aufbau der Dietesheimer Schiffschaukel. Derweil schwingt der Stadtverordnete Jonas Tybussek mit einer Vehemenz hin und her, als könne er sich überschlagen. Pfarrgemeinderatsvorsitzender Udo Parakenings läuft von den Protestanten zu den Katholiken. Das katholische Terrain liegt im Hof hinter dem ehemaligen Schwesternwohnheim, das protestantische ums Eck an der Gustav-Adolf-Kirche.

Die Bänke unter der Kastanie an der heutigen Musikschule sind voll besetzt. Jeder kennt hier jeden. Stress liegt so fern wie Regen. Parakenings erzählt von der Katholischen Jungen Gemeinde, „viele haben sich bei der Vorbereitung ins Zeug geschmissen“. Er selbst müsste sich eigentlich duplizieren: Pfarrer Willi Gerd Kost zieht gerade in St. Sebastian aus, Nachfolger Ajimon Joseph ein.

Seit 38 Jahren feiern die Konfessionen gemeinsam die Kerb. An der Gustav-Adolf-Kirche geht es beschaulicher zu als nebenan. Man findet einander.

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Am Tisch der Christdemokraten sitzen neben lokalpolitischer Prominenz wie Erika Sickenberger und Erstem Stadtrat Dr. Alexander Krey der Bundestagsabgeordnete Björn Simon und dessen Vorgänger Peter Wichtel. Unweit gönnen sich mit Ingeborg Fischer, Karl-Heinz Stier, Karlheinz Schmuck und Matthias Müller die Sozialdemokratie Wein.

Den Wein und den traditionsreichen Flammkuchen verkaufen Dietmar Wegner und Holger Pieper. Daneben bietet Anja Leidorf Brötchen mit ordentlich Schinken oder Leberwurst an.

Ilse Hammann agierte in Offenbach lange Zeit als Vorsitzende der Fastnachter der Offenbacher 03er, „seit 17 Jahren wohne ich in Dietesheim, auf der Kerb bin ich erst zum zweiten Mal“. Weil Hammann weiß, wie schwer es ist, Helfer zu rekrutieren, übernahm sie eine Schicht an der Spüle.

An einem anderen Tisch sitzen Hans-Peter Schwenger und dessen Frau Mona. Der Bäckermeister in Rente hat für die Dietesheimer Freunde frischer Brötchen gute Nachrichten. Für die Bäckerei an der Hanauer Straße fand Schwenger einen weiteren Nachfolger, „er wohnt in Dietesheim und eröffnet am 19. September“.

Michael Wittmann, der Küster der Friedensgemeinde, erzählt von fast 500 Litern Wein, die er vor der Kerb bestellt hatte. Silvaner und Rivaner gehen zur Neige. Ernst von Hermanni hat aber keine Probleme, noch einen Riesling zu bekommen. An dem NABU-Vorsitzenden zeigt sich der besondere Charakter der Dietesheimer Kerb. Der Norddeutsche mutierte auch nach 43 Jahren Dietesheim nicht zum Karnevalisten, den Schlager zum Schunkeln motivieren. Dennoch ist von Hermanni gewappnet. Er steckte zu Hause ein weißes Stofftaschentuch ein.

Die Kerb ist Ritual. Am Ende steht die Trauer, wenn der Kerbborsch nach vier Tagen Auferstehung wieder für ein Jahr im Sarg verschwindet. Vor allem die Jugend weint und wedelt mit weißen Tüchern, als Ex-Kreishandwerksmeister Wolfgang Kramwinkel, für dessen Rolle sich der Name „Guru“ etablierte, mit der bunt zusammengewürfelten Blaskapelle und den Jungs in weißen Hemden den ewig sterbenden und auferstehenden Kerl auf dem Stuhl zu Grabe tragen. Engländer würden sich heimisch fühlen. Die Melodie zu „God Save the Queen“ erklingt. Den Text passt man der Lage an: „Trinkfest und arbeitsscheu, aber dem Kerbborsch treu.“

Von Stefan Mangold