Gerdas kleine Weltbühne schließt Ende Juni ihre Pforten Letzter Vorgang fällt

Nach dem Tod seines Partners nimmt Jürgen Peusch seinen Abschied. Ende Juni schließt Gerdas kleine Weltbühne für immer ihre Pforten

Mühlheim – „Schönen guten Abend, habt ihr heut’ schon ein Lächeln verschenkt? Lächeln steckt an, darauf gibt’s noch Rendite, es kommt zurück und ist die allervornehmste und eleganteste Form, Leuten, die man nicht leiden kann, die Zähne zu zeigen.“ So beginnt „Zeitlos“, die aktuelle Show in Gerdas kleiner Weltbühne. Den Mühlheimern und der Szene bleibt das Lachen aber gerade im Halse stecken: Wenn der Juni zu Ende geht, tut das auch die schrillste Bühne im Land, und zwar für immer.

Ein paar Mal wird Jutta P. noch ganz in Blau im Rampenlicht glänzen, als „Illusion aus Make-up, Latex und Schaumgummi“ den Alltag in der Welt da draußen vergessen machen. „Wer gestochen scharf sieht, merkt, dass die Dinger nicht echt sind“, spielt Jürgen Peusch mit der Realität. „Alles nur Fake“, hebt er seinen üppigen Vorbau an – und hat die nächsten Lacher sicher.

48 Jahre gehört die Weltbühne zu Mühlheim wie St. Markus und der Wochenmarkt, ist ein Wahrzeichen der Stadt wie die Brückenmühle und der Wasserturm. Die professionelle Travestieshow von Gerd Stein blühte an der Marktstraße auf – erst gegen kleinbürgerliche Widerstände, dann mit Unterstützung aus dem ganzen Land. Jürgen Peusch entwickelte mit dem Hessischen Rundfunk das fastnachtliche Format der Rosa-Wölkchen-Sitzung.

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Seit 2005 residiert die Bühne im Bürgerhaus. Jutta hat die Räume nach ihren Plänen umbauen lassen. Mary Roos, Bata Illic und Heino grüßen, Bodo Bach, der Maddin, Johannes Scherer und hunderte weitere Größen strahlen von den Wänden des Weltbühnen-Cafes im Westflügel der Willy-Brandt-Halle. Dazwischen prangen Gerda und Jutta in Acryl: Künstlerin Sylvia Bugla aus Rödermark ist ein großer Fan des schwulen Duos, war schon in mehr als 30 Vorstellungen und verewigte beide auf Leinwand.

Der Gastgeber versuchte nach der Erkrankung des Partners noch, Corona mit hochbeinigen Bistro-Stehtischen zu überlisten, hängte UV-C-Lampen auf, die böse Keime killen. Doch, „es nutzt alles nichts, wir sind abgestraft wie die Gastronomie“, sagte Peusch zu den Pandemie-Regeln. „Selbst den Internetauftritt ändern zu lassen, kostet.“

Aufgeben kam für den 62-Jährigen aber noch nicht in den Sinn. Mit Gründer Stein als Stütze tüftelte er an neuen Programmen. „Kein Künstler will loslassen, und ich hab’ noch viel zu viele Ideen.“ Dann verließ ihn „die Gerda“, erst vor wenigen Wochen hat sich die „Jutta“ von ihrer „besseren Hälfte“ verabschieden müssen.

Ja, „die Jutta“ steht scheinbar locker zwei Stunden allein auf der Bühne, „babbelt, singt und beglückt die Leut’“, wie sie selbst erklärt. Aber ohne den Rückhalt und mit einem verletzten Fuß ist es schwer geworden, gesteht der Ausnahmekünstler. „Klar, ich bin ein bisschen wehmütig, weiß nicht, wie das am letzten Abend sein wird“, überlegt der Profi. „Aber ich bin nicht frustriert. Es ist der richtige Zeitpunkt, und ich bin froh, dass ich ihn gefunden habe.“

Morgen hat er noch einen Termin im Rathaus. Eigentlich bindet ihn noch ein Fünf-Jahres-Vertrag an die stadteigene Bürgerhaus GmbH, der erst 2024 auslaufen würde. „Das Verwalterische stresst“, erläutert Peusch seine Entscheidung. „Absagen, Verschiebungen, Sommerpause mit Theaterferien, dann im Oktober, November wieder Einschränkungen wegen Corona“, zählt Peusch auf. Auch Preissteigerungen halten die Leute zurück, die nicht wissen, wie sie ihre Stromrechnungen bezahlen sollen.

Im Ruhestand möchte der Mann aus der Wetterau Freundschaften pflegen, auch in Hamburg, Berlin und München. Seine Heimat wird Mühlheim bleiben. Die Vorstellung am 25. Juni, wenn der letzte Vorhang fällt, ist ausverkauft, für alle anderen Termine gibt’s noch Karten.

Von Michael Prochnow