Es besteht kein Grund zur Scham „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ in Offenbach

Die medizinische Soforthilfe nach einer Vergewaltigung organisieren in Offenbach Dr. Silvia Khodaverdi (von links), Dr. Peter Baier, Karin Dörr, Bettina Witte de Galbassini und Professor Christian Jackisch. Foto: Mangold

Offenbach (man) – Scham hält viele vergewaltigte Frauen davon ab, den Täter anzuzeigen. Der durch Jahrhunderte und Kulturen wabernde Generalverdacht, das Opfer trage eine Mitschuld, schützt nach wie vor die meisten Täter. Bettina Witte de Galbassini, Ärztin und psychologische Beraterin von Pro Familia in Offenbach, schätzt, 85 Prozent aller Vergewaltigungen würden nicht angezeigt.

„Kein Grund sich zu schämen, sondern sich helfen zu lassen“, lautet die Überschrift zu dem seit dem Frühjahr 2015 existierenden Programm „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ an den Krankenhäusern in Offenbach. Betroffene haben seitdem die Möglichkeit, sich von speziell für den Fall geschulten Personal versorgen zu lassen, ohne das Risiko eingehen zu müssen, mit dem Hinweis weggeschickt zu werden, „zur Spurensicherung müssen sie erst auf die Polizeistation“.

Jetzt ziehen die Organisatoren ein erstes Resümee. Aus der Statistik des Polizeipräsidiums Südosthessen für das Stadtgebiet Offenbach geht hervor: Bezogen auf das Jahr 2014 sind 28 Anzeigen wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung dokumentiert. Im Jahr 2015 wurden dort 18 Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen angezeigt. Professor Christian Jackisch, Chefarzt der Frauenklinik am Sana Klinikum, erzählt von 21 Betroffenen, die seitdem nach einer Vergewaltigung Hilfe suchten. Darunter befand sich auch ein Mann, er sich urologisch versorgen lassen musste. „Die älteste Frau war 45 Jahre alt. Eltern brachten jedoch auch ihre dreijährige Tochter vorbei.“ Für die Eltern stand ein Onkel des Mädchens in Verdacht, sich an dem Kleinkind vergangen zu haben. In so einem Fall erstattet das Krankenhaus Anzeige.

Staatsanwaltschaft muss ermitteln

Vergewaltigung ist ein Offizialdelikt. Das heißt, wenn die Staatsanwaltschaft Wind davon bekommt, muss ermittelt werden, ganz gleich, ob die geschädigte Person später auf die Idee kommt, die Anzeige wieder zurück zu nehmen. Das hindert aber manche Frauen daran, sich nach dem Verbrechen medizinisch versorgen zu lassen. Meist sind die Täter keine Unbekannten, sondern stammen aus dem Umfeld der Opfer. Eine Anzeige schlägt dann oft auch Wellen in Familien. Dazu sind Frauen besonders im ersten Moment des Schocks oft nicht bereit, sagt Karin Dörr, die kommunale Frauenbeauftragte. 

In den beiden Offenbacher Krankenhäusern könnten sie sich jedoch sicher sein, lediglich medizinisch versorgt zu werden, um sich dann eventuell später zu überlegen, doch noch Anzeige zu erstatten. Mögliche Beweismittel wie Abstriche und Kleidung zur Sicherung von DNA werden anonym für ein Jahr in der Rechtsmedizin aufbewahrt. „Sehr wichtig“, betont Christian Jackisch, „Anwälte mutmaßlicher Täter haben es denn schwerer, die Beweislast anzuzweifeln“.

Nach einer Vergewaltigung die „Pille danach“

Im Jahr 2014 nutzten fünf Frauen die medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung mit anonymer Befundsicherung in den beiden Offenbacher Kliniken – die Beweise wurden Frankfurt eingelagert. In 2015 war dies vier Mal der Fall, außerdem haben sich zwei Frauen medizinisch versorgen lassen ohne Sicherung von Beweisen. Von Januar bis Juni 2016 sind bereits sieben Untersuchungen mit vertraulicher Spurensicherung erfolgt. Dr. Silvia Khodaverdi, Gynäkologin am Sana Klinikum, spricht über das fest stehende Untersuchungsset für Vergewaltigungsfälle, „wir müssen nicht erst alles zusammen suchen“. Außerdem orientierten sich die psychologisch geschulten Ärztinnen nach fest gelegten Vorgaben. Dr. Peter Baier, Chefarzt der Frauenklinik am Ketteler Krankenhaus, versichert, trotz des katholischen Trägers des Krankenhauses sei es keine Frage, dass Frauen nach einer Vergewaltigung auf Wunsch die Schwangerschaft verhindernde „Pille danach“ bekämen.

Für Oberbürgermeister Horst Schneider, Dezernent für Frauen und Gleichstellungspolitik, ist es keine Frage, „dass sich Offenbach trotz der Haushaltslage mit 6.000 Euro an dem Projekt beteiligt“. Bettina Witte de Galbassini betont, wie wichtig es für Frauen sei, nach dem traumatischen Erlebnis zumindest die Gewissheit zu bekommen, „rein körperlich wird die Tat keine weiteren Folgen für mich haben“. Nicht selten sei das erst der erste Schritt, mit dem Trauma einigermaßen fertig zu werden. Informationen gibt es unter www.soforthilfe-nach-vergewaltigung.de.