MARIENSCHULE Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann im Schülerinnen-Dialog Zwei Menschen, zwei Perspektiven

Shai Hoffmann hat israelische, Jouanna Hassoun palästinensische Wurzeln. An der Marienschule wirbt das Duo für einen Austausch, der auf Empathie und Toleranz setzt. Bild: fastnacht

Offenbach – Die Nachricht vom Angriff der Hamas überrascht Shai Hoffmann morgens, als er in seinem Berliner Bett liegt. Sofort kontaktiert er die Familie in Israel. In den Folgetagen rauschen ihm Gedanken durch den Kopf. „Ich habe mir zig Fragen gestellt“, berichtet er. Jouanna Hassoun macht gerade Urlaub im Nahen Osten, zum ersten Mal seit acht Jahren. „Ich stand unter Schock, konnte nicht essen und schlafen.“ Auf den Terror folgt die Bombardierung von Gaza. „Manchmal warte ich Tage auf Lebenszeichen von Freunden“, sagt Hassoun.

Zwei Menschen, zwei emotionale Achterbahnfahrten – die Lage im Nahen Osten wühlt auf. Es herrscht Redebedarf, nicht nur bei Hoffmann und Hassoun. Auch bei den Schülerinnen der Offenbacher Marienschule, die deshalb Besuch bekommen von dem Duo. „Wir sind keine Nahost-Experten, auch keine Wissenschaftler“, sagt Hoffmann, der als Kind israelischer Eltern in Berlin aufwuchs. Er und seine Kollegin Nassoun, die einst als palästinensische Geflüchtete nach Deutschland kam, wollen viel mehr einen Raum bieten, den Emotionen freien Lauf zu lassen. Offen zu sprechen.

Rund 50 Achtklässlerinnen sitzen in der Mensa der Marienschule, ein Kamerateam des Hessischen Rundfunks filmt, die Landeszentrale für Politische Bildung bezahlt den Vortrag. Welche Bilder erscheinen vor ihren Augen, wenn sie die Worte Israel und Palästina hören, fragen Hoffmann und Hassoun? Wie sie die Region vor dem Ausbruch des Krieges wahrgenommen haben? Anfangs brauchen die Schülerinnen ein wenig, um aufzutauen. „Ich höre viel über den Krieg, aber habe das Gefühl, nicht richtig über die Hintergründe aufgeklärt zu sein“, sagt Schülerin Jasmin. Eine andere meint: „Ich denke an eine Freundin, die seit ein paar Jahren dort unten wohnt. Ich hoffe, dass es ihr gut geht.“ Hoffmann und Hassoun versuchen, den Blick auf Themen zu richten, die unmittelbar mit der Lebensrealität der jungen Menschen zu tun haben: soziale Medien wie TikTok etwa. „Es gibt Leute, die nur aus Gründen der Reichweite Argumente in den Diskurs einstreuen, die man mindestens mal hinterfragen sollte“, sagt Hofmann. Ausgeglichene Debatte – Fehlanzeige, das haben auch die Marienschülerinnen gemerkt, als sie in den vergangenen Wochen durch ihre Smartphones gescrollt haben. Die Schüler stellen Fragen, die über den Krieg in Gaza hinausgehen. Wem das Stückchen Land, auf dem sich heute Israel befindet, eigentlich gehöre, lautet eine andere Frage. Eigentlich sei das gar nicht die Krux des Nahost-Konflikts, findet Hassoun: „Es geht doch viel mehr darum: Wie können palästinensische Menschen irgendwann genauso ohne Unterdrückung leben, wie die Israelis?“ Hassoun ist überzeugt: Sowohl Israel als auch Palästina haben ein friedliches Recht auf Existenz in der Region – ein Standpunkt, der nicht angezweifelt werden dürfe. Wird die Debatte über den Nahostkonflikt einmal allzu hitzig, empfehlen Hoffmann und Hassoun: Positionen, so lange sie nicht einen gewissen Grundkonsens wie den Wert des menschlichen Lebens attackieren, einfach mal nebeneinander stehen lassen. „Zu sagen: Deine Meinung ist genauso viel wert, kann in emotionalen Momenten helfen.“ Auch einen Aufruf an die Schulen formuliert Shai Hoffmann: „Ich habe das Gefühl, dass Mathe- und Vokabeltests wichtiger sind, als einfach mal zu fragen: Wie geht es euch momentan eigentlich?“ Ein Plädoyer, das in Zeiten des Krieges im Nahen Osten, dem Konflikt in der Ukraine, Energie- und Klimakrise, angebrachter denn je wirkt.

Von Julius Fastnacht