Versteckt, im Müll gefunden, gemeinsam restauriert und nun zu sehen Odyssee einer Urkunde

Kai-Michael Sprenger mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, daneben in der Vitrine die Paulskirchenverfassung von 1849. Bild: Jeannette Faure

Altstadt (jf) – Die Doppelseite mit vielen Unterschriften ist in einer Vitrine im Wandelgang der Paulskirche zu sehen. Im Hintergrund befindet sich ein Gemälde der Nationalversammlung von 1848/49: „Genau vor 175 Jahren, auf der 196. Sitzung der Nationalversammlung, wurde die Reichsverfassung mit 197 Paragrafen verkündet“, berichtet Kai-Michael Sprenger, seit 2023 Direktor der 2021 errichteten Stiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“. Er führt durch die kleine Ausstellung in der Paulskirche und stellt gleich zu Beginn fest: „Es geht um Demokratie. Das ist kein Zustand, sondern ein Prozess.“

405 Abgeordnete unterzeichneten das Original, das waren rund 75 Prozent aller zu diesem Zeitpunkt in der Nationalversammlung sitzenden Männer – ein stattliches Bekenntnis zu den in der Verfassung verankerten Werten wie Gleichheit vor dem Gesetz, Meinungs-, Presse-, Religions-, Versammlungs- und Gewerbefreiheit, Vereinsrecht, Freizügigkeit und die Abschaffung der Todesstrafe. Die Unverletzlichkeit des Eigentums, die Freiheit der Person, das Briefgeheimnis und die Freiheit von Wissenschaft und Lehre sowie der Zugang zu kostenloser Bildung gehörten ebenfalls zum Katalog der Grundrechte.

Aus der Geschichte ist bekannt: Diese Verfassung trat nie in Kraft. Aber ihre Werte finden sich sowohl in der Verfassung der Weimarer Republik als auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und gehörten ebenfalls in Teilen zur ersten Verfassung der DDR. Die Revolution von 1848/49 wurde blutig niedergeschlagen. In diesen Zeiten versteckte Friedrich Jucho, Schriftführer des Paulskirchenparlaments, Anwalt und Notar, die originale Verfassungsurkunde und ließ sie von einem Freund nach Manchester schmuggeln. Erst im März 1870 veranlasste Jucho die Rückgabe der Urkunde mit dem prachtvollen roten Einband und den schwarz-rot-goldenen Bändern an den Präsidenten des 1866 gegründeten Norddeutschen Reichstags. Das war Paulskirchenpräsident Eduard Simson, der im Dezember 1848 auf Heinrich von Gagern folgte. 1928 wurde das Dokument in der Ausstellung „Pressa“ in Bonn gezeigt, im Herbst 1930 stahl ein Kleinkrimineller die Urkunde aus der Bibliothek des Reichstags, ein Jahr später wurde das Schriftstück wiedergefunden. 1933 gelangte es nach Potsdam, wurde 1943 mit anderen Dokumenten ins Kali- und Salzbergwerk Staßfurt (Sachsen-Anhalt) ausgelagert. Wie es auf einen Schutthaufen im Neuen Garten in Potsdam geriet und 1951 von einem 17-jährigen Schüler entdeckt wurde, bleibt weitgehend im Dunklen.

Neben dem Original gibt es zwei weitere Pergamentausgaben, eine davon enthält nur 212 Unterschriften und wurde nach Kassel gebracht, eine weitere ist gänzlich verschollen. Im Herbst 1989, noch vor dem Mauerfall, erarbeiteten Kollegen der Kasseler und der Berliner Staats-Bibliothek (damals Osten) ein Faksimile mit allen Unterschriften. Ein gutes Beispiel deutsch-deutscher Kooperation. Die Ausstellung in der Paulskirche mit Details zur Entstehung und zur Odyssee der Verfassung ist bis zum 3. Mai täglich von zehn bis 17 Uhr zu sehen, außer das Haus wird für geschlossene Veranstaltungen genutzt.