Barbara Honigmann erhält in der Paulskirche den Goethe-Preis Parallelen und unverstellte Einblicke

Ina Hartwig (links) überreicht Barbara Honigmann die Urkunde des Goethe-Preises. Bild: Faure

Altstadt (jf) - „Wir sind stolz und glücklich, mit Barbara Honigmann eine Literatin auszuzeichnen, deren Romane eindringlich vom Schicksal jüdischer Menschen in der DDR ebenso wie der Künstlerbohème in Ost-Berlin erzählen“, begrüßte Kulturdezernentin Ina Hartwig die zahlreichen Gäste in der Paulskirche. Die seit 1952 alle drei Jahre stattfindende Verleihung des 1927 gestifteten Goethe-Preises sei ein Bekenntnis der Stadt und müsse lebendig bleiben. Mit der Entscheidung der Jury für Barbara Honigmann sei das gelungen.

„Leicht dahin zu quasseln ist einfach. Für Barbara Honigmann habe ich mir alles aufgeschrieben“, begann Wolf Biermann, langjähriger Freund und Weggefährte der Preisträgerin, seine Laudatio. Er erinnerte an den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, der sich zur Aussage verstieg, der „Faust III“ werde vom Volk der DDR geschrieben. Goethe war im Osten Deutschlands selbstverständlich als Klassiker anerkannt. Die „Faust“-Inszenierungen an Ostberliner Bühnen wurden allerdings mehrfach verboten. Nur einer von vielen Widersprüchen im realen Sozialismus. In dem jüdische Menschen offiziell respektiert wurden, ihren Glauben aber nicht leben konnten.

„Passt denn Barbara Honigmann überhaupt zu Goethe?“, fragte Biermann und schickte dem Dichter kurz vor dessen 274. Geburtstag eine entsprechende Anfrage nach oben. Goethe, inzwischen modern ausgerüstet, mailte zurück: „Besonders ‚Alles, alles Liebe’ erinnert mich an meine ‚Leiden des jungen Werther’ und an meine ‚Wilhelm Meisters Lehrjahre’. Honigmann schreibt raffiniert kunstscheu.“

Biermann erinnerte an drei Nachkriegskinder, deren Eltern führende Positionen in der DDR innehatten: Thomas Brasch, Gregor Gysi und Barbara Honigmann. „Honigmann fand den Weg ins Offene mit prall gefüllten Sprachlosigkeiten“, stellte Biermann fest. Sie habe auch den dreifachen Salto geschafft mit ihrer Übersiedlung 1984 ins französische Straßburg, vom Osten in den Westen, von Deutschland nach Frankreich, von der Assimilation zu einer jüdischen Identität.

Zum Abschluss sang und stampfte Biermann den Gassenhauer „Berliner Pflanze“ und interpretierte mit eigener Gitarrenbegleitung „Und als wir ans Ufer kamen“ (1976, kurz vor der Ausbürgerung) mit der ergreifenden Zeile: „Ich möchte am liebsten weg sein und bleibe am liebsten hier“. Anschließend überreichte Ina Hartwig den Goethe-Preis an Honigmann. Die Geehrte trug sich dann noch ins Goldene Buch der Stadt ein.

„So groß bin ich nicht, um mich kleinzumachen“, dankte die 74-Jahre alte Preisträgerin. Sie sei von Goethes Werken ebenso geprägt worden wie von ihren jüdischen Wurzeln. Den Stolz gegen alle Vertreibungen und allen Hass habe ihr wohl der Vater eingepflanzt.

Zeitgleich mit Goethe, so fügte Honigmann an, lebte noch ein anderer Gelehrter, der Rabbi Chaim Volozhin, dessen jüdische Lehrschriften sie studierte.

Honigmanns Vater Georg verbrachte seine letzten Lebensjahre in Weimar. Den Ginkgo, den Goethe 1813 in seinem Weimarer Garten pflanzen ließ, hat er ebenfalls bewundert. „Und ist nicht das Zweiblatt des Baumes den Juden ähnlich?“, fragte Honigmann. Inzwischen freue sie sich über die Ginkgobäume auf der Place de la République in Strasbourg.

„Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. Was man nicht nützt, ist eine schwere Last. Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.“ Diese Zeilen aus „Faust I“ stellte Barbara Honigmann ans Ende ihrer Rede. Musikalisch umrahmt wurde die Preisverleihung vom Oxalis Quartett (Stefan Besan, Friederike Kampick, Tim Düllberg und Lucija Ruppert).