Geflohene Lehrerin betreut geflohene Schüler Unterricht mit Heimatgefühlen

Anastasiia Zlenko (links, stehend) und Lena Berenbaum (rechts, stehend) unterrichten in ihren Intensivklassen auch Kinder und Jugendliche, die mit ihren Müttern und Omas aus der Ukraine geflüchtet sind. Bild: pelka

Rodgau – Die Georg-Büchner-Schule (GBS) in Jügesheim ist ein Spiegel der Weltgeschichte. Das gilt auch für ein trauriges Kapitel: Je mehr kriegerische Konflikte Länder und Völker erschüttern, desto mehr Kinder und Jugendliche aus Krisengebieten suchen nach teils traumatischer Flucht und Vertreibung in den Intensivlassen in Rodgaus größter Schule Orientierung.

In den aktuell drei Intensivklassen machen 60 Kinder aus Afghanistan, der Türkei, Syrien und anderen Staaten einen Neuanfang in einem vollkommen fremden Kulturkreis. Sie sind zehn bis 17 Jahre alt und lernen unter anderem Deutsch und Landeskunde. Unter den Schülern sind 25 Geflohene aus der Ukraine. Das Besondere: Auch eine der Klassenlehrerinnen ist aus dem von Putins Schergen angegriffenen Staat geflüchtet: Anastasiia Zlenko.

Ihre Mutter und sie kamen im März 2022 nach tagelanger Irrfahrt durch Polen erschöpft in Jügesheim an. Dort gab es freundschaftliche Kontakte von früher, weshalb die studierte Lehrerin aus Kiew schon schnell die Chance hatte, an der GBS als unterstützende Zweitkraft geflüchtete Jugendliche auch aus ijhrem heimatland zu unterrichten und sie in Lebensfragen beim Ankommen zu unterstützen.

Inzwischen hat die 29-Jährige einen festen Anstellungsvertrag, lebt in einer eigenen Wohnung und ist in einer Intensivklasse Deutsch selbst Klassenlehrerin zusammen unter anderem mit Lena Berenbaum. Auch sie stammt aus der Ukraine, lebte dort in der einst bedeutenden Hafenstadt Mariupol, und reiste schon 2003 aus. Ihre Eltern kamen nach dem Überfall auf die Krim dann 2014 nach.

GBS-Schulleiter Volker Hildebrandt ist froh, die beiden Kolleginnen an solch passender und wichtiger Stelle zu wissen. „Sie können sich ja nicht nur mit den Kindern in ihrer Muttersprache verständigen, sondern auch mit den Eltern reden. Das ist ungeheuer wichtig.“

Der Schulleiter weiß, welchen Belastungen die Familien ausgesetzt sind. „Im dritten Kriegsjahr ist die Situation im Grunde deprimierend. Wir versuchen, das Beste daraus zu machen. Außer zu unterrichten, geht es hier vor allem auch um eins: um Ermunterung.“

Reichten an der GBS 2023 noch zwei Intensivklassen aus, sind inzwischen drei erforderlich. Anastasiia Zlenko und Lena Berenbaum beobachten, wie sich die Perspektiven der ukrainischen Schüler mit der Zeit verändern. Je länger die Invasion dauert, desto klarer wird ihnen, dass eine Rückkehr wohl nicht mehr möglich sein wird.

„Insgesamt ist ihre psychische Verfassung aber stabiler geworden“, erzählt Anastasiia Zlenko. „Sie sind motiviert und haben ihren Weg gefunden, nachdem jetzt klar ist, dass sie bleiben, ja, bleiben müssen, weil ihre Heimat zerstört ist. Manche wollen auch gar nicht mehr zurück.“

Dieses Thema treibt auch die engagierte Pädagogin um. Vergangenes Jahr besuchte Anastasiia Zlenko zweimal die Verwandtschaft in Kiew. Einerseits sei sie sehr glücklich gewesen, Zeit mit der Familie zu verbringen. „Andererseits war es gefährlich. Es gab oft Alarm und ich wollte dann schon wieder zurück nach Rodgau.“ Diese emotionale Zerrissenheit erleben auch ihre Schüler. In Erinnerung ist der jungen Lehrkraft ein Mädchen, das zusammen mit ihrer Oma versuchsweise wieder in die Ukraine zurückkehrte, während ihre Geschwister und der Rest der Familie in Rodgau geblieben waren. „Nach knapp fünf Monaten waren das Mädchen und die Oma wieder hier.“ Die gebürtige Kiewerin hofft, dass ihr zuhause erworbenes Diplom in Hessen nun bald Anerkennung findet. Kontakt zum Staatlichen Schulamt ist deshalb schon geknüpft. Zwei Staatsprüfungen und ein Vorbereitungsdienst von 21 Monaten stehen der mutigen Frau noch bevor. Dann wären alle Bedingungen erfüllt. Und für Anastasiia Zlenko erfüllte sich ein großer Wunsch. „Ich will hier bleiben.“

Von Bernhard Pelka