KLOSTERKONZERT Gabriels und Eckerts Matthäus-Passion uraufgeführt Brückenschlag von Barock zu Moderne

Gut austariert: Solistin Tabea Nolte, Choristen und Instrumentalisten sowie Dirigent Steffen Schreyer in der Seligenstädter Kirche St. Marien

Seligenstadt – Es ist vollbracht! Nach zweijähriger Corona-Pause erlebte „Christi Kreuz vor Augen“, Passion nach Matthäus von Thomas Gabriel und Eugen Eckert, die Uraufführung in der Seligenstädter Kirche St. Marien. Minutenlanger Beifall galt auch der Solistenriege, dem Essener Domchor, dem Orchester Main-Philharmonie, Mitgliedern der Essener Philharmoniker, einer Jazzcombo mit Gabriel am Piano sowie dem Mainzer Domkapellmeister Steffen Schreyer.

Es ist ein Brückenschlag vom Barock Johann Sebastian Bachs zur Moderne, den Gabriel glaubwürdig vollzieht. Von Bach stammt die Form – Rezitativ, Arie, Chor, Choral – und der Zwölfachteltakt des Eingangschors, die der Wahl-Seligenstädter neu interpretiert. Wie auch Eckert, Stadionpfarrer in Frankfurt und Librettist von Oratorien, Kantaten und Neuem Geistlichem Lied, der den Leidensweg Christi ins Hier und Heute überführt: Komplott der Hohepriester, Verrat des Judas, letztes Abendmahl mit den Jüngern, Gefangennahme, Verleugnung durch Petrus und Tod am Kreuz.

Dabei sorgen Rezitative und Chordialoge für Hochspannung, während in verbal geschliffenen Kommentaren der gläubigen Seele die Frage nach Zivilcourage selbst unter schlimmen Verhältnissen wie derzeit im Ukraine-Krieg gestellt wird.

Beruhen Bachs Rezitative auf Continuo-Basis (Violoncello plus Orgel oder Cembalo), sind sie bei Gabriel einer Jazzband anvertraut, die dem Cello Klangraum gibt, die Hinterlist der Hohepriester in sperrigem Fünfvierteltakt anprangert und hochkochende Emotionen mit fetzigen afrokubanischen Rhythmen unterlegt. Dabei ist die Altistin Tabea Nolte eine spannende Erzählerin mit angenehmer, vibratoloser Stimme.

Bigbandsound und Kontrapunkt sind da keine Gegensätze, sie ergänzen einander. Hitverdächtig ist wie bei Händels „Messias“ das Halleluja, Ohrwurmcharakter hat der Jazz-Waltz zum Psalm 117 „Lasst uns Gott loben“. Die Choräle scheinen an Bach anzuknüpfen, sind aber harmonisch völlig neu gefasst. Daneben schlagen unwirkliche Nachtszenen mit fahlem Glockenschlag in Bann, und der Romantiker Brahms kommt a cappella „In stiller Nacht“ zu gutem Ton.

Verfügt auch der Komponist über ein großes Arsenal spätromantischer Klangfarben, verebben sie, wenn sich das Leiden zuspitzt. Beim Paul-Gerhardt-Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ ist modernistisches Grau über harten Rhythmen Trumpf. Ist Jesus im Barock von einer Art Heiligenschein umgeben, umgibt Gabriel den ausdrucksstarken Bariton Georgios Iatru mit den Sopranen Esther Bathelt, Andrea Schroeder und Bernadette Schreyer, deren Engelsstimmen das dramatische Geschehen mitsteuern.

Den übrigen Solisten, stark aus dem Chor heraus singend, gebührt ein Sammellob. Wie dem fein austarierten Essener Domchor und der Orchestervereinigung – Wachs in Schreyers Dirigierhänden, der die Balance gut hält und Wert auf Textverständlichkeit legt.

Zeitlose Botschaft in zeitgenössischem Klang: Gabriels Matthäus-Passion hat das Zeug zum Dauerbrenner! ack