Los ging es vor dem DRK-Seniorenzentrum, wo Waltraud Berg-Heil die Teilnehmerinnen begrüßte und ein paar einleitende Sätze sprach. So gebe es in Dietzenbach über 270 Straßen, wovon 60 nach Männern, zehn nach Frauen benannt seien – dazu der Anne-Frank-Platz. „Frauen machen über 50 Prozent der Bevölkerung aus, sind im öffentlichen Raum aber viel weniger sichtbar. Damit fehlt auch ein Stück weit Wertschätzung und Erinnerung an Leistungen von Frauen im öffentlichen Raum. Dabei ist es egal, ob man in einer kleinen hessischen Gemeinde wie Dietzenbach oder einer deutschen oder europäischen Großstadt nach weiblichen Straßennamen sucht. Überall dominieren die männlichen Straßennamen“, sagte Berg-Heil zu Beginn. Über Straßenbenennungen nach Frauen könne man dazu beitragen, dass die Leistung von Frauen höher wertgeschätzt und sichtbar werde.
Es regnete an diesem grauen Oktobertag. Doch die anwesenden Frauen störte der nasse Schwall von oben nicht. Die Regenschirme aufgespannt ging die Reise los. Erster Halt: Getrud-Kolmar-Weg. Die Nazis ermordeten die Lyrikerin 1934 in Auschwitz. Direkt daneben befindet sich der Anne-Frank-Platz. Die Damen legten kleine Steine neben die Gedenktafel Franks und würdigen sie mit der jüdischen Tradition, bei der Steine auf Grabmälern platziert werden. Historiker haben unzählige Bücher über Frank, Luxemburg oder Curie verfasst und das gewaltige Wissen über ihre Biografien zusammengetragen.
Ganz anders bei den beiden Dietzenbacherinnen Gaubatz und Scriba. Über die beiden Frauen ist nicht viel bekannt. Am Karoline-Gaubatz-Weg angekommen, wurde klar: Über sie weiß man eigentlich gar nichts – außer dass sie als Hebamme gewirkt und 1931 ihr 50-jähriges Hebammenjubiläum gefeiert hat. „Nur zwei Zeilen sind im Dietzenbacher Straßennamenbüchlein über sie zu finden, eine Frau, die vermutlich Hunderten von Dietzenbachern zum Start in die Welt verholfen hat. Nur zwei Zeilen für eine Frau, die so wichtige Care- oder Sorgearbeit geleistet hat“, berichtete Marianne Kämmer-Reusch von der Katholischen Frauengemeinschaft.
Sie prangerte die auch heute noch geringe Wertschätzung von Fürsorgearbeit an: „Diese sogenannte Care-Arbeit ist die Arbeit, die man erst merkt, wenn sie nicht gemacht wird – diese Tätigkeiten des Sorgens, Sich-Kümmerns und der Fürsorge sind essenziell für unsere Gesellschaft. Dennoch erfahren die noch immer zum überwiegenden Teil von Frauen erledigten Sorgearbeiten nur geringe Wertschätzung.“
Über Scriba sind ein paar historische Details mehr überliefert. Kämmer-Reuscher präsentierte den Teilnehmerinnen des Spaziergangs die Ergebnisse ihrer Recherche: „Sie war die erste Lehrerin der im Jahre 1861 eingerichteten Schule für weibliche Handarbeiten zu Dietzenbach und erste weibliche Lehrkraft in Dietzenbach überhaupt.“
Vor der Montessori-Schule löste sich die Gruppe am frühen Abend dann auf. Ein paar von den Frauen verabredeten sich noch nebenan im Hessentagspark zu einem Tee. Um niemanden unerwähnt zu lassen: Auch Astrid Lindgren, Bertha von Suttner und Liese Meitner sowie Helen Keller wurden gewürdigt.
Von Steffen Lynch