AUSSTELLUNG „Weihnachten bei Wagners“ dokumentiert ein Stück Zeitgeschichte Intimer Blick auf den Gabentisch

Museumsbesucher können sich wie Wagners fotografieren lassen: Corinna Molitor und ihre Mitarbeiterin Kim Lehnert haben eine Selfie-Station zur Ausstellung im Foyer des Dreieichmuseums aufgebaut. Bild: Jost

Dreieich – Das Dreieichmuseum startet in die Weihnachtszeit: Im Foyer können es sich die Museumsbesucher vor dem geschmückten Weihnachtsbaum gemütlich machen. Die Selfie-Station lädt dazu ein, sich gegenseitig zu fotografieren, wie es einst Richard und Anna Wagner getan haben. Museumsleiterin Corinna Molitor und ihr Team haben dazu weihnachtliche Requisiten zusammen getragen, die die Besucher auch anfassen dürfen. Hüte anziehen ist ausdrücklich erwünscht.

Das Dreieichmuseum zeigt die großformatigen Fotografien aus den Jahren 1900 bis 1945 unter dem Titel „Weihnachten bei Wagners“, die das Ehepaar jedes Jahr an Heiligabend mit dem Selbstauslöser gemacht hat, und deren zeitgenössische Einordnung in das Leben in Berlin in jener Epoche nach 2021 zum zweiten Mal.

„Zum einen ist es eine fantastische Ausstellung, die bei uns auch immer wieder nachgefragt wurde“, erklärt Corinna Molitor. „Zum anderen brauchten wir jetzt eine Ausstellung, die wir auch kompakt in einen Raum hängen können, weil der andere Ausstellungsraum wegen eines Wasserschadens gerade nicht nutzbar ist“, erläutert die Museumsleiterin.

Die Schau im Besitz des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf ist sehr sehenswert. Es hat etwas fast Intimes, 45 Jahre lang auf den weihnachtlichen Gabentisch, die festlich gekleideten Wagners und die Festtafel der beiden zu blicken. Es lohnt sich, die Bilder genau zu betrachten. „Es sind die Details, die durchaus spannend sind. So hat beispielsweise die Tapete zwei Weltkriege überlebt, und auch die Spitzengardine hing zwei Jahrzehnte bei den Wagners im Wohnzimmer“, sagt Molitor.

Die Wagners hatten eine Vorliebe für technische Innovationen und das kinderlose Paar hat sich praktische Geschenke gemacht, die das Alltagsleben leichter machen sollten. 1926 beispielsweise hielt das elektrische Bügeleisen Einzug, 1927 war es der Staubsauger und 1937 ein Volksempfänger. Bahnbeamter Richard Wagner war ein ordentlicher Mann: „Vermutlich eine Beamtenseele“, schätzt Molitor.
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Denn wir wissen heute so genau, was 45 Jahre lang auf dem Gabentisch lag, weil Richard Wagner es haarklein auf der Rückseite der Fotografien notiert hat. Zahnbürsten, Filzhausschuhe, Stoffe und eben die Haushaltsgeräte. Sogar den Preis hat er dazu geschrieben.

Die Krisen und Kriege sind aus den Fotos herauszulesen. In einem Detail erkennt die Dreieichenhainer Museumsleiterin eine gewisse „wertkonservative Haltung“ des Paares. „Das Porträt von Kaiser Wilhelm hängt auch 1921 noch in ihrem Wohnzimmer – da war er längst im Exil in Holland“, hat Corinna Molitor entdeckt. Große Sympathien für den Nationalsozialismus hegten die Wagners vermutlich eher nicht. Ein Hitler-Bild schaffte es zumindest nie auf die Weihnachtsfotos im Wohnzimmer.

Dass die Ausstellung überhaupt existiert, ist einem Zufall zu verdanken. Das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf hat 1990 die Bevölkerung um private Aufnahmen zum Thema Weihnachten gebeten. Eine Familie reichte diese besondere Fotosammlung der Wagners ein – und die Museumsmitarbeiter erkannten die Einmaligkeit der Exponate. Es war ein Dachbodenfund, und die Familie war zunächst in dem Glauben, ihre schon verstorbene Großmutter sei mit den Wagners verwandt gewesen. Mithilfe von Geburts- und Sterbebüchern sowie alten Telefonbüchern zeichneten die Historiker die Geschichte des Ehepaares nach. Sie waren nicht verwandt mit der Großmutter der einreichenden Familie – aber sie waren befreundet, und die alte Dame hat die Fotos nach dem Tod der Wagners aufbewahrt. „Erstaunlich und ein echter Glücksfall, dass diese Fotografien die Jahrzehnte überstanden haben“, findet Molitor.

Auch, dass sie überhaupt entstanden sind, ist nicht alltäglich in jener Zeit. Denn 1900 gehörte Wagner zu den ersten Amateurfotografen in Deutschland. Viele der Bilder sind mit einer Stereokamera entstanden; die Wagners schickten sie als Weihnachtskarten an Freunde.

Jetzt freut sich das Museumsteam auf viele Besucher für „Weihnachten bei Wagners“. Und Corinna Molitor hat sogar das Museumsjahr 2024 bereits vorbereitet: Im Februar startet die Kinder- und Jugendausstellung „Mein Name ist Hase“ über Sprichworte und Redensarten.

Im Sommer zeigt das Museum Bilder von Frank Kunert – eine Jubiläumsausstellung anlässlich des 60. Geburtstag des Künstlers, der in Sprendlingen geboren wurde. Und zum Weihnachtsfest 2024 gibt es dann eine Präsentation zur Kulturgeschichte des Schneemannes. Aber jetzt sind erst mal die Wagners an der Reihe.

Das Dreieichmuseum in der Fahrgasse hat samstags von 14 bis 18 Uhr und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen.  njo