Holocaust-Überlebende Edith Erbrich erzählt im Startpunkt von ihrer Zeit im KZ Theresienstadt „Einer alleine kann es nicht schaffen“

Zeitzeugengespräch: Edith Erbrich (links) berichtete im Interview mit Anna Waldow von den schrecklichen Monaten im Konzentrationslager. Bild: JOST

Langen – Die Angst vor den menschenfeindlichen Aufseherinnen im Konzentrationslager Theresienstadt kann Edith Erbrich mit ihren Worten berührend transportieren, ebenso ihre Furcht auf dem Weg dorthin im Viehwaggon oder die Scham, wie sie als Siebenjährige vor lauter Hunger Kartoffelschalen gegessen hat. Oft hat die Langener Zeitzeugin und Holocaust-Überlebende vor Schulklassen gesprochen und ihr eigenes Schicksal als Tochter einer christlichen Mutter und eines jüdischen Vaters erzählt.

Diesmal sitzt sie vor einem älteren Publikum, im Startpunkt im Langener Norden. Lea Wissel, Koordinatorin des Projekts „Partnerschaft für Demokratie – Vielfalt in Langen“ von der Arbeiterwohlfahrt (Awo), hat die Zeitzeugin gemeinsam mit Anna Waldow vom Awo-Senioren-Projekt Allerhand in den Senioren-Treffpunkt eingeladen. Etwa 35 Besucher lauschen dem Interview mit Anna Waldow, in dem Erbrich von ihrer Kindheit unter der Naziherrschaft erzählt. Schon die Zeit vor der Deportation am 14. Februar 1945 beschreibt Erbrich als schwer, von Stunden, die sie oft während des Fliegeralarms über Frankfurt im heimischen, kalten Keller gesessen habe, weil sie die öffentlichen Luftschutzkeller nicht aufsuchen durfte. Auch ein Schulbesuch war dem damals gerade sieben Jahre alten Mädchen verwehrt.

Als sie mit ihrer Schwester Hella und ihrem Vater an der Großmarkthalle in den Viehwaggon verladen wurde, erinnert sie sich an einen besonderen Moment: „Ein SS-Mann rief in den Wagen, halten Sie die Mädchen noch mal hoch, die Mutter will sie noch mal sehen. Wir haben unsere Mutti gesehen, sie hat geweint.“ Erbrich spricht von abrasierten Haaren, von Fliesen, die sie unter Aufsicht von herzlosen Wärterinnen mit der Zahnbürste schrubben musste, und von ihrem Vater, den die beiden Mädchen einmal wöchentlich sehen durften und der ihnen meist einen Apfel aus der Küche, in der er arbeitete, mitbrachte.

Sie erinnert sich an ihre „stillen Helden“, die die Postkarten, die ihr Vater bereits frankiert aus dem Zug warf, an ihre Mutter schickten, oder diejenigen, die den aus dem KZ befreiten Häftlingen auf ihrem beschwerlichen Weg nach Hause Essen und Kleider spendeten. Die Zeitzeugin betont, wie wichtig es ihr im Rentenalter wird, über ihre Erlebnisse zu sprechen. „Ich wollte das früher nie, ich wollte auf der Arbeit nicht die sein, die das erlebt hat. Es war die Leiterin des Studienkreises, die mich dazu motivierte. Als ich die Ausstellung ,Kinder in der Theresienstadt‘ sah, habe ich meine Geschichte erzählt. Als die Ausstellung nach Frankfurt kam, haben mich viele Lehrer angesprochen, ob ich sie nicht mal in der Klasse besuchen komme“, berichtet Erbrich.

Sie selbst habe letztlich aus ihrer neuen Aufgabe als Zeitzeugin gelernt und profitiert. „Wir müssen gemeinsam Augen und Ohren offen halten, damit es nie wieder passieren kann. Einer alleine kann es nicht schaffen, wir müssen gemeinsam dagegen stehen“, sagt Erbrich unter Applaus.

Im Startpunkt lässt sie ihre Zuhörerinnen schlucken. Martina Hofmann-Becker, die im Publikum sitzt, sagt treffend: „Egal, wie oft ich Edith Erbrich zuhöre, es trifft mich immer wieder tief.“ Nach dem Interview diskutieren die Besucher, wie sie dem Rechtsruck in der Gesellschaft entgegenstehen möchten. Lea Wissel ist zufrieden mit der Resonanz: „Wir haben viele neue Gesichter dabei gehabt und freuen uns, dass wir auch diese Zielgruppe erreichen können.“
 njo