Nachbarschaftsstreit in Mühlheim geht durch alle Medien Vom Drangsalieren durch Volksmusik bis zur Morddrohung

Gisela Heisel und Hans Pollrich lebten Jahrzehnte lang gerne in ihrem eigenen Haus, bis ein Nachbar von nebenan meinte, sie beschallen zu müssen. Foto: man

Mühlheim (man) – Mittlerweile berichtete das Hessische Fernsehen und RTL über den Fall des Mühlheimer Nachbarn, der meint, ein Recht zu haben, andere mit seiner Musik zu beschallen. „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“, lautet ein häufig zitierter Satz Immanuel Kants. Hört sich gut an, aber das Ehepaar Gisela Heisel und Hans Pollrich erlebt seit zwei Jahren, wie die Realität der Erkenntnis spottet. Der Nachbar nimmt sich die Freiheit, das Ehepaar zu terrorisieren. Hilfe der Behörden bleibt aus. Zuletzt drohte der Mann von nebenan mit Mord. Früher hätten sie den Nachbarn „Hämmerle“ genannt, erzählen Heisel und Pollrich. Der Mitte 50-Jährige habe ständig gebastelt. Das nervte zuweilen, habe aber keinen Anlass gegeben, Kontakt aufzunehmen. Im Sommer 2018 entdeckte der Bewohner hinter dem Sichtschutzzaun ein neues Hobby. Von nun an beschallte „Hämmerle“ seine Umgebung mit deutschem Schlager. Das Ehepaar, das seit über dreißig Jahren im eigenen Haus lebt, sah sich plötzlich mit Liedgut wie „Sie liebt den DJ“ oder „Das Rote Pferd“ konfrontiert. Je wärmer die Temperaturen, desto lauter wummerte der Nachbar. Gisela Heisel erzählt, wie sie im August 2018 bei dem Mann anklingelte. Der begründete seine Weigerung, einen Kopfhörer zu benutzen, mit einer rhetorischen Frage, die von einem kruden Rechtsverständnis zeugt, „zahlen Sie meine Miete?“ Das Ehepaar rief schließlich die Polizei. Der jüngere der beiden Beamten habe gesagt, „so laut ist das doch nicht, sie können ja umziehen“. Was der Polizist anscheinend nicht weiß: Niemand hat das Recht, sein Abspielgerät über Zimmerlautstärke zu drehen, egal, ob es sich um Techno oder Tschaikowsky handelt. In der Regel misst Pollrich im eigenen Garten eine akustische Emission zwischen 50 und 60 Dezibel. Wenn dem Nachbarn ein Schlager besonders gut gefällt, ruft er ins Wohnzimmer, „Alexa, lauter“. Die Wochenenden und die Montage, an denen der Mann arbeitsfreie Tage genießt, bilden die Schwerpunkte, „während des Corona-Lockdowns hatten wir kaum einen Tag Pause“.

Seit dem 25. Februar 2019 führt das Paar ein Lärmprotokoll. Ein Beispiel: Am Ostersonntag des Jahres sangen Wendler, Ötzi und Konsorten erst von 8.15 Uhr bis 10.12 Uhr, später von 17.25 bis 20.15 Uhr. Zwölf Seiten fasst das Protokoll bisher. Mindestens 60 Besucher des Paares können den Terror ebenso bezeugen wie die mittlerweile häufig aufgetauchte Polizei. Dreimal drohte der Nachbar, Hans Pollrich zu ermorden. Als der 70-jährige über den Zaun rief, die Musik sei zu laut, verkündete der Mann jeweils, „ich schneide Dir den Kopf ab“. Über drei Jahrzehnte fühlten sich Gisela Heisel und Hans Pollrich in ihrem Haus wohl. Ihre Lebensqualität sank längst auf Null. Beide leiden an Schlaflosigkeit. Die Vermieterin des Nachbarn mahnte den Mann vergebens ab. Das Schreiben ihres Rechtsanwalts Stefan Sondergeld vom 23.08.2019 führte zu nichts. Die beiden Schlichtungstermine in Mai und Juni ließ der Nachbar verstreichen. Das Ordnungsamt zitiert aus der HSOG, um zu begründen, warum man die Füße still hält. Der Schutz privater Rechte obliege der Behörde nur dann, „wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist“. Der Fall liegt eigentlich vor. Zumal es im ebenfalls zitierten § 117 des Ordnungswidrigkeitengesetzes zum Thema „Unzulässiger Lärm“ heißt, es handele sich um einen Gesetzesverstoß, wenn der Krach geeignet sei, „die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft erheblich zu belästigen oder die Gesundheit eines anderen zu schädigen“. Das Amt erklärt jedoch in seinem Schreiben vom 15. Juni, aufgrund der Schilderungen des Ehepaars sei nicht erkennbar, „dass eine unmittelbar drohende Gefahr von der Allgemeinheit abzuwenden ist“. Terror gegen ein Ehepaar scheint erlaubt zu sein. Das Ordnungsamt verschanze sich hinter der Tatsache, „dass sich bisher kein anderer Nachbar beklagte“, erklärt Pollrich. Es wundert nicht, wenn sich Eltern kleiner Kinder gegenüber einem Mann zurückhalten, der Kritikern droht, ihnen den Kopf abzuschneiden. Hans Pollrich zeigte den Nachbar am 17. Mai beim Polizeipräsidium Südosthessen wegen Bedrohung an. Dort reagierte man skeptisch, ob der Nachbar einer Vorladung Folge leisten werde.