Frühlingskonzert des Sängerkranz 1845 Dietesheim Gestochen scharf dank akribischer Probenarbeit

Nur wer den Dirigenten und seine Anweisungen im Blick behält, findet den richtigen Einsatz. Foto: man

Mühlheim (man) – Der Sängerkranz 1845 Dietesheim hatte länger nicht mehr konzertiert. Pressewartin Nicole Bieker erklärt, die Chöre und der neue Dirigent hätten sich bewusst Zeit gelassen: „Wir mussten uns aneinander gewöhnen.“ Das klappte. „Ein Potpourri aus Chor und Klang“ lautet die Überschrift des Frühlingskonzerts der drei Chöre am 22. April in der knall vollen Willy-Brandt-Halle. Frauen- und Männerchor haben unter dem Dirigenten Maximilian Nickel einen Qualitätssprung vollzogen.

Die Frauen singen zur Ouvertüre das von Johannes Brahms gesetzte badische Volkslied „Da unten im Tale“. Das Stück lebt von der schlichten Melodie. Die Wirkung würde jedoch verpuffen, wenn der Einsatz nach der Achtelpause irgendwie genuschelt käme. Ein „und ich kann dir´s nicht sagen, ich hab dich so lieb“, würde dann so gestolpert wirken, dass jede Angebetete froh wäre, wenn der Bewerber sein Anliegen für sich behielte.

Mit Maximilian Nickel steht ein Dirigent vor dem Chor, der trotz aller Lockerheit akribisch in den Proben arbeitet. Gestochen scharf setzen die Frauen ein. Nickel schlägt präzise und organisch, er atmet mit. Zudem ist der 24-Jährige überhaupt kein Typ, der die Bühne nutzt, um sich in Posen zu verlieren. „Aneinander gewöhnen“ hieß auch, auf den instrumentalen Rollator in Form des Klaviers zu verzichten. Den Akkord zu Beginn eines Stücks singt Nickel nach der Stimmgabel vor. A Capella kann ein Chor auch nicht darauf hoffen, dass der Dirigent bei diffizilen Passagen einen Tick lauter in die Tasten greift. Das diszipliniert.

Der Frauenchor schießt seinen ersten Auftritt mit dem melancholischen hebräischen Lied „Bo yavo haboker“ ab, begleitet von Nickels Kommilitonen, einem Streichquartett aus Schulmusikstudenten der Frankfurter Hochschule. Das spielt außerdem „Lullaby for Strings“ von George Gershwin, Musik mit Ragtime-Elementen. Christiane Kühn-Wilkens, die durch den Nachmittag moderiert, nennt Gershwin „meinen Lieblingskomponisten“. Raffiniert klingt das Wechselspiel zwischen dem Flageoletttönen der ersten Geige und dem Pizzicato im Cello.

Kühn-Wilkens singt ansonsten im dritten Chor des Nachmittags mit, bei den „The Females“, dirigiert von Stefanie Sattler, die bei manchen Liedern auch die Texte schreibt, wie bei „New York, Mühlheim, Tokio“, nach der Melodie von „One Night in Bangkok“. Wunderbar bringen die Females bei dem Song „Drück die Eins“ von Annett Louisan das rüber, womit deutsche Unterhaltungsmusik gerne geizt: Esprit.

Sänger Christoph Spindler lobt seinen Dirigenten für das Konzertprogramm. Maximilian Nickel vermeidet den Fehler, klassisches Männerchor-Repertoire wie Schuberts „Die Nacht“ oder „Abendfrieden“ von Rudolf Desch“ in der Schublade verschwinden zu lassen. Selten erklingt ein Männerchor so homogen, wie die überwiegend nicht mehr ganz jungen Kerle vom Sängerkranz. Für „Wie schön bist du“ aus den ersten Zeilen von Schuberts „Die Nacht“, gilt das gleiche wie für das Brahms-Volkslied zu Beginn. Locker ließe sich das in die Tonne krächzen, was aber keineswegs passiert. Die Balance zwischen Tenor und Bass gestaltet sich fein austariert. Keine Stimme drängt sich nach vorne. Traurig zu wissen, dass in absehbarer Zeit dieser spezielle Sound des deutschen Männerchors verhallt sein wird. Damit lässt ich vielleicht so umgehen, wie es der Sängerkranz-Vorsitzende Helmut Jung über das nicht für die Ewigkeit bestimmte Engagement von Maximilian Nickel ausdrückt: „So lange er bei uns ist, freuen wir uns.“