Entscheidung zwischen Amüsement und Bildung „Kultur im Dialog“: Isenburger diskutieren im Stadtmuseum

Rege diskutiert wurde in Neu-Isenburg die Frage, welche Veranstaltungen und Einrichtungen in die Kategorie „Kultur“ fallen und finanzielle Unterstützung verdienen. Foto: Mangold

Neu-Isenburg (man) – Für den einen sind Feste wie das „Open Doors“ in Neu-Isenburg lediglich Amüsement, für den anderen schützenswerte Tradition. Darüber, wie viel in Kultur investiert werden sollte und was überhaupt unter diesem Begriff geführt werden kann, scheiden sich regelmäßig die Geister. So auch bei der Veranstaltung „Kultur im Dialog“ im Stadtmuseum.

Hier diskutierten die Neu-Isenburger darüber, ob das Festival „Open Doors“ nicht mit dem Altstadtfest zusammengelegt werden könne und ob ein Neubau für die Stadtbibliothek sinnvoll sei: Fragen, die die Neu-Isenburger noch länger beschäftigen werden.

Anders als in Frankreich oder Österreich steht in Deutschland das Budget fast immer vor dem Inhalt, wenn Politik von Kultur spricht. „Kultur kostet viel Geld“, sagt denn auch Theo Wershoven (CDU), der als zuständiger Dezernent auch noch den Sport bearbeitet, zur Begrüßung, und fügt hinzu: „Trotz Kürzungen muss eine Marginalisierung der Kultur vermieden werden“.

Wie es sich mit beschränkten Finanzen jonglieren lässt, davon berichtet Bettina Stuckard. „Seit 2009 gingen die Mittel zur Kulturförderung um ein Drittel zurück“, konstatiert die Leiterin des Kulturbüros der Stadt. Stuckard berichtet etwa von den zehn Theaterstücken pro Jahr, den Serenadenkonzerten, den Kulturpreisen und den beiden Museen, die allesamt auf den Deckel des kommunalen Haushalts gehen: „Mit weniger Geld können wir weniger Ausstellungen als früher organisieren.“

Dann erzählt Jutta Duchmann, die Chefin der Stadtbibliothek, wie ihr Haus, jenseits des reinen Bücherausleihens, zunehmend gesellschaftliche Aufgaben erfülle. Duchmann erwähnt Schüler, die zusammen Hausaufgaben machen. Die schätzten den öffentlichen Raum, der nichts kostet. Die neue Zweigstelle in Gravenbruch sei mit 3.000 Besuchern im Monat gut angenommen worden. Überhaupt läge Neu-Isenburg mit jährlich 410.000 Entleihungen weit vorne: „Das macht elf pro Einwohner. Der Bundesdurchschnitt liegt bei unter sechs“.

Thomas Leber, Leiter der Hugenottenhalle, berichtet vom Altstadtfest und dem Festival „Open Doors“, das über die Grenzen Neu-Isenburgs strahle. Die Organisation fällt in Lebers Bereich: „Open Doors kostet die Stadt 67.500 Euro.“

Der Journalist Eberhard Schwarz beginnt seine Moderation mit einem Zitat von Oliver Quilling. Der Landrat und frühere Bürgermeister von Neu-Isenburg erklärte, es ärgere ihn, wenn Politiker Einsparungen im Kulturbereich forderten, „damit lässt sich zwar kein Haushalt sanieren, aber Kultur zerschlagen“.

Hier setzt auch Gerhard Gräber an, langjähriger Kommunalpolitiker für die FDP. Wenn es darum ginge zu kürzen, werde die Kultur als erstes genannt, „niemals aber der Sport“. Katharina Mieskes vom Freundeskreis der Stadtbibliothek komprimiert den Begriff: „Kultur ist das, was einen Menschen bildet. Darauf sollte die Stadt ihren Fokus richten“. Ein Festival wie „Open Doors“ sei zwar nett, „jedoch nicht mehr als Amüsement“, so Mieskes.

Die Zusammenlegung von Altstadtfest und „Open Doors“ fordert Grünen-Vorstand Nick Timm. Beide Veranstaltungen hätten ihren identitätsstiftenden Charakter verloren. Gräber schlägt vor, „für Open Doors kann doch jeder fünf Euro bezahlen, das hält kaum jemanden ab“.

Bei zuletzt 35.000 Besuchern wären das 175.000 Euro gewesen. Die städtischen Ausgaben lagen bei 67.500 Euro. Dem hält Theo Wershoven zusätzliche Personalkosten entgegen, „die Überstunden derer, die Bändchen verkaufen, müssen schließlich vergütet werden“. Auch die Veranstaltungsagentur wolle dann am Gewinn beteiligt werden.

FDP-Kommunalpolitiker Thilo Seipel fragt nach den Plänen für eine Sanierung von Hugenottenhalle und Stadtbibliothek. Wershoven betont, er persönlich bevorzuge einen Neubau der Bibliothek. Bis dahin sei es aber ein langer Prozess, an dessen Ende ein zweistelliger Millionenbetrag stehe. Katharina Mieskes hofft auf eine Erweiterung der Stadtbibliothek, „hin zu einem Medien- und Kommunikationszentrum“. Das hört Jutta Duchmann mit großem Wohlwollen.

Kommentare

Zu groß aufgesetzt

"Kultur" existiert in vielfältiger Ausprägung und, das kam in dem Termin sehr gut rüber, muss daher differenziert betrachtet werden. Als ein Thema ist es viel zu komplex, es sollte in Themenfelder herunter gebrochen und in diesen besprochen werden; Musik, Tanz, Theater, Bibliothek, bildende Kunst. Stadtteil- und Strassenfeste haben dabei m.E. gar nichts zu suchen.

Ich möchte an dieser Stelle daher auch nur über die Kunst in Neu-Isenburg reden. Um es vorweg zu nehmen; Kunst besitzt in Neu-Isenburg m.E. überhaupt keinen Stellenwert jenseits der Förderung der lokalen Szene und hat aktuell ganz sicher keinen engagierten Fürsprecher in der Politik.
Eine interessante Frage, die weder in diesem "Dialog" beantwortet, noch in Ihrem Artikel erwähnt wurde, lautet; Warum unterstützt das Kulturdezernat in Zeiten von klammen Kassen und erwarteten weiteren Kürzungen nicht die privaten Initiativen, sondern ignoriert und boykottiert sie sogar? Selbst leidgeprüft erscheint es mir so, dass das Kulturdezernat eigentlich nur die eigenen Präsentationsräume pflegt und bei allen sonstigen Veranstaltungen geschlossen durch Abwesenheit glänzt. Neu-Isenburg hat aber schlicht gar keinen geeigneten Raum für Kunst und der nationale oder gar internationale Diskurs scheint schon gar nicht gewollt.

Dabei muss man gar nicht verschüchtert nach dem nahen Frankfurt schielen, sondern mit offenen Augen in die direkte Nachbarschaft, beispielsweise nach Dreieich. Was dort jedes Jahr - sicher auch ohne wesentliche Zuschüsse aus dem Stadtsäckel - im Bereich Kunst auf die Beine gestellt wird, sollte Neu-Isenburg als Messlatte oder wenigstens als Anreiz dienen. Anlehnen ist OK, kooperieren übrigens auch.

Ich bin sehr gespannt, ob der Dialog weitergeführt wird. Wenn ja, in welcher Ausprägung und ob er je Resultate zeitigen wird. Wenn denn doch, kommen die o.g. Fragen wieder auf den Tisch, und zwar so lange, bis man sich im Rathaus der Antwort entweder nicht mehr verweigert oder das Thema im Ganzen ruhen lässt. Übrigens auch nicht die schlechteste Alternative, wenn man nicht wirklich etwas ändern möchte - oder kann.