„Auch mal zusammen weinen!“

Bürgermeister Jörg Rotter, Erste Stadträtin Andrea Schülner und die Pfarrer Carsten Fleckenstein und Klaus Gaebler sprachen in bewegenden Worten zu den rund 800 Teilnehmern der Mahnwache zwischen Kulturhalle und Trinkbornschule. Foto: ziesecke

Rund 800 Menschen bekundeten bei einer Mahnwache vor der Kulturhalle ihre Solidarität mit der Ukraine: berührende Lieder und eindringliche Appelle.

Ober-Roden – Tief betroffen sind Menschen in aller Welt über den Krieg gegen die Ukraine. Tief betroffen sind auch die Rödermärkerinnen und Rödermärker. Zu der Mahnwache, zu der Bürgermeister Jörg Rotter und die christlichen Kirchen für Sonntagabend vorletzte Woche eingeladen hatte, kamen geschätzt etwa 800 Menschen jeden Alters.

Die beiden Polizisten aus der Wache in Dietzenbach sowie die Mitarbeiter des Ordnungsamtes staunten kurz vor 18 Uhr nicht schlecht, als über alle Seitenstraßen wahre Menschenschlangen auf den Platz vor der Kulturhalle gezogen kamen. Sorge um die Sicherheit war unnötig. Überall zeigten sich große Betroffenheit und Mitgefühl, die innere Wut war versteckt – so wurde es eine sehr stille und dadurch besonders eindringliche Mahnwache. Sie war eine der größten in der Region.

Die Flagge der Ukraine eingerahmt von der Europaflagge und der Fahne der „Mayors for Peace“, der weltweiten Friedensbekundung vieler Bürgermeister; die Kulturhalle wie auch der Platz davor getaucht in das Licht blau-gelber Strahler; auf der kleinen Bühne eine Friedensrune aus Kerzen gestellt: Das war die Kulisse, vor der Bürgermeister Jörg Rotter, Erste Stadträtin Andrea Schülner und die Pfarrer Carsten Fleckenstein und Klaus Gaebler eindringlich um Frieden für die Ukraine warben und beteten. Teilweise fast wortlos vor Fassungslosigkeit, wie es etwa bei Andrea Schülner zu spüren war. Das gemeinsame Vaterunser berührte die Teilnehmer der Mahnwache ebenso wie das Lied „Imagine“, mit dessen Text Werner Mühling nach der ukrainischen Nationalhymne vielen Zuhörern die Tränen in die Augen trieb. Keine krawalligen Demo-Aktionen, einige wenige Plakate – die Betroffenheit galt vor allem den Menschen in der Ukraine. Entsprechend war die Menge fast atemlos, als einer der wenigen ukrainischen Rödermärker, Vitalii Hirchak, mit seinem Sohn Luka und der blau-gelben Flagge die Bühne betrat. Er stammt aus dem westlichen Teil des Landes, nur zwölf Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, und seine Familie ist noch nicht unmittelbar vom Krieg betroffen. Seine Angehörigen sehen aber Vorbereitungen wie das Ausheben von Gräben auf der Straße, das Einlagern von Vorräten bis zum Menschenstrom, der sich zur polnischen Grenze hin bewegt. „Ich habe seit vier Tagen nur am Radio, am Fernseher und am Handy gehangen und frage, wie wir helfen können“, erzählte der 36-Jährige, der noch in sowjetische Zeiten („ohne Religion und ohne alles“) geboren ist und seit 2012 in Deutschland lebt. Mit seiner Frau und seinen zwei- und achtjährigen Kindern wohnt er in Urberach.

Auf die Frage, wie von hier aus am besten in der Ukraine geholfen werden kann, gab Vitalii Hirchak eine sehr aufgewühlte Antwort: „Mit Lebensmitteln! Und mit Medikamenten.“ Auch auf die Frage, wie die deutsche Regierung jetzt helfen kann, kam die Antwort rasch: „Was Ihre Regierung am Samstagabend beschlossen hat, war schon gut. Das hätte nur schon vor acht Jahren, als Putin die Krim besetzte, passieren müssen.“

Seine dringende Mahnung an die Mächtigen: „Sie müssten sich alle zusammensetzen und reden!“ Es sei wohl schwer, mit einem Terroristen zu reden, aber es sei unerlässlich. „Wir müssen einfach zusammenhalten, auch mal zusammen weinen. Solidarität ist das alles entscheidende Wort dieser Tage.“

VON CHRISTINE ZIESECKE