Lesung und Orgelmusik in St. Nikolaus zum Doppeljubiläum Klage und Hoffnung

Arnold Stadler in der Kirche St. Nikolaus. Bild: Jeannette Faure

Bergen-Enkheim (jf) – Organist Alexander Keidel-Euler begrüßte die Gäste mit den Worten der Theologin Dorothee Sölle: „Die Psalmen sind für mich eins der wichtigsten Lebensmittel. Ich esse sie, ich trinke sie, ich kaue auf ihnen herum, manchmal spucke ich sie aus, und manchmal wiederhole ich mir einen mitten in der Nacht. Sie sind für mich Brot.“ Er fügte hinzu: „Wir wollen an diesem Sonntag der spirituellen Magersucht etwas entgegensetzen. Die Psalmen werden angerichtet, damit wir sie essen und trinken können.“

Anlass für das Lesungskonzert sind das Jubiläum des Stadtschreiberpreises zum 50. Jahr und das 40-jährige Bestehen der großen Orgel, die 1984 von „Förster & Nicolaus“ erbaut und mehrfach erweitert wurde.

Beides steht für Kultur in Bergen-Enkheim und ist gleichzeitig Verpflichtung. Die Organistin Christa Wetter gestaltete mit der Fantasie g-Moll von Johann Sebastian Bach einen fulminanten Auftakt.

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Arnold Stadler, Stadtschreiber 1998/99, der wie die Organistin aus Meßkirch stammt, hatte Theologie und Literaturwissenschaften studiert und die Psalmen in seinem Buch „Die Menschen lügen. Alle“ aus dem Hebräischen ins Deutsche übertragen. Das Buch erschien genau während der Stadtschreiberschaft von Stadler. Er las jedoch zunächst im Andenken an die legendäre Monika Steinkopf sein Gedicht über die Erinnerung an Bergen.

Stadler sei so gerne in diesem Ort gewesen, dass er seinen Aufenthalt in Absprache mit dem nachfolgenden Stadtschreiber verlängert hatte. Er komme immer wieder gern nach Bergen.

„Die Psalmen sind Lebensgefährten“, sagte der Autor, der sich seit mehr als 50 Jahren mit den 150 Klageliedern und Hymnen, die vor 3000 Jahren entstanden, beschäftigt. „Die Kirche hat die Psalmen übernommen, weil es das Gebets- und Gesangbuch von Jesus war“, erklärte Stadler. Die Psalmen sind das meist übersetzte und meist vertonte Lyrikbuch der Welt.

Von dem Allwissenden ist die Rede im Psalm 139 und von der Erlösung im Psalm 130.

Vom Weg der Gerechten und von der Herrlichkeit künden die Psalmen eins und acht. Der berühmteste ist Psalm 23, der mit den Worten „Er ist mein Hirt“ beginnt.

Anschließend sind dazu drei Werke von Johann Sebastian Bach zu hören gewesen. Weitere Psalmen trug Arnold Stadler vor, danach erklangen Vertonungen von Samuel Scheidt, Max Reger und Jean Langlais.

Musik erklinht: „Chant de Paix“

Der Widerstandskämpfer Hans Scholl sprach vor seiner Hinrichtung am 22. Februar 1943 den Psalm 90. Andere Lobpreisungen der Weisheit folgten. Musikalisch setzte Christa Euler den Gedanken mit „Chant de Paix“ von Jean Langlais fort.

Arnold Stadler las aus seinem 2001 erschienenen Buch „Tohuwabohu“, in dem er Heiliges und Profanes aus der Weltliteratur versammelt. „In einer Lage, die ausweglos zu sein scheint, sollte nicht das ‚Nein’ bleiben, sondern am Ende das ‚Ja’ stehen“, äußerte Stadler.

Nach Pavana Lachrimae von Jan Pieterszoon Sweelinck bedankte sich Alexander Keidel-Euler bei allen Besuchern des Lesungskonzerts. Marcel Duprés Sortie, interpretiert von Christa Euler, setzte einen hoffnungsfrohen und großartigen Schlusspunkt. Beide Protagonisten erhielten für ihre Vorträge viel Applaus.