Mehr Räubertöchter und weniger Prinzessinnen Patrizia Moresco begeistert mit Kabarett in der Nikolauskapelle

Ob Gesundheitswahn oder Helikoptereltern: Die Kabarettistin Patrizia Moresco verstand es, den Finger gekonnt in die Wunde zu pieken. Foto: ko

Bergen-Enkheim (ko) – Das Publikum in der Nikolauskapelle erlebte kürzlich eine geballte Ladung italienischen Temperaments, das die Kabarettistin Patrizia Moresco mit ihrem Programm „Die Hölle des positiven Denkens“ auf die Bühne brachte. Es war eine brillante Idee der Kulturgesellschaft Bergen-Enkheim, die Komödiantin in den Stadtteil zu holen.

In Süddeutschland aufgewachsen und sozialisiert sprach Moresco von ihrer Adoleszenz als „dolce vita in der Sparbüchs‘“. Um dem schwäbischen Sprachraum und der Mentalität der Häuslebauer mit Kehrwoche zu entfliehen, zog sie nach Berlin-Kreuzberg, das Kontrastprogramm schlechthin. Ob sie nun den Berlinern aufs Maul geschaut hat oder einfach nur ein kluges Köpfchen ist, das Tatsachen erkennt und treffend kommentieren kann, bleibt bis auf weiteres ungeklärt, aber ihre positive Sicht auf das Leben will sie sich nicht durch „machtgeile Politiker mit dem Rückgrat von Nacktschnecken“ oder durch angebliche Fehler, die Menschen, vor allem Frauen, ständig an sich entdecken, nehmen lassen. „Wir sind ständig mit der Fehlersuche beschäftigt. Ich wünschte, Vodafone würde das tun!“, schimpfte die Entertainerin von der Bühne. Ein kurzes Lied über gute Taten brachte ihre wohlwollende Lebenseinstellung auf den Punkt.

Nächstes Thema der Kabarettistin war der Selfie-Wahnsinn, der mehr und mehr um sich greift. 88 Mal würden die Menschen täglich auf ihr Smartphone stieren und bekämen das Daumen-Tourette-Syndrom (DTS), wenn das Ding mal aus sei. „Was wir früher in fünf Minuten geklärt hatten, whatsappen wir heute bis in die Arthrose“, stellte Moresco fest. Und was wir heute in drei Minuten unfreiwillig an intimen Details durch Handygespräche anderer mitanhören müssten, hätte die Sendung „Lindenstraße“ in mindestens 122 Folgen erzählt.

Unsterblichkeit durch Sport und Ernährung?

Ohne Smartphone unterwegs zu sein, sei für die meisten inzwischen wie Sex mit einem Vibrator ohne Batterie: könne man machen, fülle einen aber nicht aus. Gegen Intoleranz und rechtspolitisches Gedankengut („Idioten mit Brackwasser im Kopf“) sprach sich Patrizia Moresco ebenso unmissverständlich aus wie gegen Gesundheitsapostel („Ein grüner Smoothie schmeckt, als wenn Du mit offenem Mund ins Gemüsebeet stürzt“) und Helikoptereltern mit „hochbegabten Kackbratzen“ („Der fünfjährige Wotan-Justine lernt fünf Sprachen und besucht den Leistungskurs über weibliche Lyrik“). „Wir brauchen mehr Räubertöchter, weniger Prinzessinnen!“, lautete ihre eindeutige Botschaft.

Schiere Unsterblichkeit werde heutzutage durch Sport und Ernährung angestrebt, sterben sei ja so „90er“, stellte sie als nächstes frustriert fest, denn dabei bleibe das eigentliche Glück komplett auf der Strecke. Kein Alkohol mehr im Bier, kein Fett mehr im Joghurt, täglich im Fitnessstudio schwitzen und zum Lachen in den Keller, aber „find mal jemand, der Zeit hat, für Dich glücklich zu sein!“ Ihre Wahrheit aber besagt, dass analog das neue Bio ist, Sex statt Internet und Orgasmus statt Shitstorm.

Überzeugende Entertainerin

Patrizia Moresco nutzte jede Gelegenheit, dem weiblichen Publikum Mut zu machen, denn obwohl sie selbst aussähe wie „Dresden vor der Wende“, käme ein Lifting nicht in Frage und die Männer müssten lernen, zwischen den Zeilen zu lesen. Ab 40 habe der Körper eine ganz eigene Meinung und da, wo jetzt noch ein knackiges Tattoo von Johnny Depp sei, hänge in Kürze der Schrei von Edvard Munch, aber so sei es eben und vor allem sei es in Ordnung so. Sagte es und ging stolz erhobenen Hauptes von der Bühne. Ein großartiger Abend mit einer überzeugenden Entertainerin, die kein Gemüt unberührt ließ.